Der Begleiter by dtv
Autor:dtv
Format: epub
Herausgeber: dtv
Welche Chancen gab es zwischen einer Frau wie ihr und ihm? War es überhaupt möglich, dass sich zwischen ihnen eine wirklich intime Ebene entwickelte? War es möglich, dass jemand mit seinem Lebenshintergrund die Barriere, die zwischen ihren Welten bestand, übersprang und ihr Vertrauen gewann? Diese und ähnliche Fragen gingen ihm durch den Kopf, während er den bereits vertrauten Weg zu ihrem Haus fuhr. Der Vesuv beschirmte die einstündige Fahrt wie ein Schutzpatron, und Alexander hatte umso mehr Gelegenheit, seinen Gedanken nachzuhängen, als Liss kein Wort sprach. Nach der Abfahrt vor dem Hotel hatte er mehrere Vorstöße unternommen, um sie in ein Gespräch zu verwickeln, aber in derselben Art, die er schon aus Berlin kannte, blieb sie in ihrer dunklen Innenwelt versunken.
Er betrachtete sie von der Seite, sah ihre Hände, den großen Ring, den sie immer trug. Seltsam, auch dieser Ring löste in ihm jenes Fragezeichen aus, das seit ihrer ersten Begegnung in ihm war. Hier, auf dieser schweigenden Autofahrt, waren sie sich näher und ferner als je zuvor. Es war schlichtweg absurd, auch nur an die Möglichkeit eines intensiveren privaten Verhältnisses zu denken.
Sie erreichten die Auffahrt zum Haus, fuhren den Kiesweg hinauf. Er sah auf, als er auf dem Parkplatz zwei Wagen erblickte, einen Kleinlaster mit Gartengeräten auf der Ladefläche und einen Mercedes mit getönten Scheiben. Als sie das Haus betraten und in den Salon gingen, stand in der geöffneten Terrassentür ein Mann in einem grauen Anzug, der Anweisungen in den Garten rief. Beim Näherkommen erkannte Alexander, dass der Mann die drei Gartenarbeiter meinte, die unterhalb der Terrasse mit der Instandsetzung der Beete und Wege beschäftigt waren. Als er Liss sah, kam er auf sie zu und begrüßte sie mit einem Händedruck, worauf er auch Alexander die Hand gab. Der kleine Eröffnungssmalltalk zwischen Liss und dem Mann ging nahtlos über in einen Rundgang über das Grundstück.
Nach dem Rundgang kehrten sie in den Salon zurück. Alles geschah mit schneller, demonstrativer Verbindlichkeit, auch Liss’ Wunsch, dass Alexander für alle einen Kaffee zubereiten solle. Er stellte in der Küche die Maschine an und konnte durch die geöffnete Tür sehen, wie sie sich mit dem Mann am Tisch in der Mitte des Salons niederließ. Jetzt, aus der Distanz, während er die unterkühlte Freundlichkeit beobachtete, mit der sie dem Mann begegnete, kam sie ihm plötzlich völlig vertraut vor. Er sah die Frau vor sich, der er noch vor wenigen Stunden mit nackter Brust gegenübergestanden hatte, und konnte hinter dem geschäftsmäßigen Auftreten, das sie hier an den Tag legte, auf einmal etwas anderes spüren, etwas, was nur er und nicht der andere sah, ihr Frausein. Was sie die ganze Zeit nach außen zeigte, war nur der äußere Schild, hinter dem sie ihren Kern mit großer Disziplin verbarg, jener Panzer, den sie auch in ihrer Ehe immer getragen haben musste. Er stellte den Kaffee auf den Tisch, auf dem diverse Papiere ausgebreitet lagen.
»Gehen wir das Ganze noch einmal durch«, sagte der Mann.
Alexander kam sich überflüssig vor. Er lehnte mit seiner Tasse an der Terrassentür, blickte hinaus auf die blaue Weite des Golfes.
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