Der Architekt des Sultans by Elif Shafak

Der Architekt des Sultans by Elif Shafak

Autor:Elif Shafak
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Roman
Herausgeber: Kein & Aber AG
veröffentlicht: 2015-02-20T07:30:37+00:00


Für die Instandsetzung der Aquädukte wurden einhundertdreißig Helfer eingestellt. Sie arbeiteten in zwei Trupps, der erste am westlichen Teil, der zweite in der Mitte, wo der Verfall am weitesten fortgeschritten war. Sinans vier Schüler maßen währenddessen mithilfe eines Astrolabiums die Tiefe der Täler und die Höhe der Gipfel. Wie immer befahl ihnen der Meister, sich mit den Methoden der Handwerker aus vergangenen Zeiten zu beschäftigen. Um es selbst besser zu machen, sollten sie aus den Errungenschaften und Fehlern der Byzantiner lernen.

Davud und Yusuf, beide versiert in der Kunst der Geometrie, vermaßen die Wasserwege. Nikola und Jahan marschierten derweil bergauf und bergab und verzeichneten alle beschädigten und verstopften Kanäle. Mancherorts stürzte das Wasser durch Risse in die Tiefe, so verfallen waren die Aquädukte. Es versickerte in grünen Wiesen und kehrte in den Erdboden zurück, ohne den Menschen genutzt zu haben. In anderen Gegenden mussten sie erst nach den Quellen der Bäche suchen und von dort aus die Rohre ausgraben. Sie dämmten das Wasser ein, damit es nur in eine Richtung floss, zur Stadt hin. Schließlich führten sie es in einem neuen Gerinne der Länge nach durch das Tal. Mittels Abflussrohren aus Messing, die mit Messwehren verbunden waren, ermittelten sie Abschnitt für Abschnitt die passierende Wassermenge und errechneten, wie viel Wasser insgesamt diesen Weg nahm.

Nach einer Woche fiel Jahan etwas Merkwürdiges auf. Die Arbeiter begannen ihnen auszuweichen und setzten sich über die Anweisungen hinweg. Je länger er sie beobachtete, umso stärker wurde sein Verdacht, dass sie ständig nach Vorwänden suchten, um diesen Nagel nicht einschlagen oder dieses Brett nicht tragen zu müssen. Es stand zu befürchten, dass alle diese kleinen Verweigerungen zusammengenommen das ganze Projekt aufhalten würden.

Er nahm einen Bauzeichner beiseite, einen Kurden namens Salahaddin, dessen Frau kurz zuvor Zwillinge geboren hatte. Jahan kannte ihn als einen ehrlichen Menschen und erwartete, von ihm die Wahrheit zu erfahren.

»Was ist los? Warum arbeiten alle so langsam?«

Salahaddin wandte den Blick ab. »Wir arbeiten doch, efendi.«

»Ihr seid im Rückstand – weshalb?«

Die Wangen des Zeichners röteten sich. »Ihr habt uns nicht gesagt, dass sich hier ein Heiliger herumtreibt.«

»Wer behauptet das?«

Der Mann zuckte mit den Achseln und war nicht bereit, Namen zu nennen.

Jahan versuchte es mit einer anderen Frage. »Woher wisst ihr, dass sich hier ein Heiliger aufhält?«

»Einige hatten eine … Erscheinung«, antwortete Salahaddin und sah Jahan an, als wartete er auf dessen Zustimmung.

Es sei der Geist eines Märtyrers, erklärte Salahaddin, eines tapferen muslimischen Soldaten, gestorben im Kampf gegen die Ungläubigen. Obwohl seine Brust von einem Pfeil durchbohrt gewesen sei, habe er noch zwei Tage unermüdlich weitergefochten. Am dritten Morgen sei er gestorben und in der Gegend begraben worden. Jetzt erschien den Arbeitern sein vom Trubel der Bauarbeiten aufgeschreckter Geist, und alle befürchteten, mit einem Fluch bestraft zu werden.

»Unsinn. Wer immer dieses Gerücht verbreitet, will Meister Sinan damit schaden.«

»Es stimmt aber, efendi. Man hat ihn gesehen.«

»Und wo?« Jahan riss entnervt die Hände hoch.

Zu Jahans Erstaunen reckte der Mann das Kinn zum Gerüst hin.

»Dort also hat sich der Geist häuslich eingerichtet?«, fragte Jahan spöttisch.

Salahaddin blieb ernst. »Dort wurde er gesehen.



Download



Haftungsausschluss:
Diese Site speichert keine Dateien auf ihrem Server. Wir indizieren und verlinken nur                                                  Inhalte von anderen Websites zur Verfügung gestellt. Wenden Sie sich an die Inhaltsanbieter, um etwaige urheberrechtlich geschützte Inhalte zu entfernen, und senden Sie uns eine E-Mail. Wir werden die entsprechenden Links oder Inhalte umgehend entfernen.