Das verlorene Dorf by Kasper Stefanie

Das verlorene Dorf by Kasper Stefanie

Autor:Kasper, Stefanie [Kasper, Stefanie]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Goldmann
veröffentlicht: 2015-04-26T16:00:00+00:00


18

Lichterloh

Das hohe, schneidende Geräusch von Spitzpickeln auf eisigem Boden war tagelang im Dorf zu hören. Ein schauerlicher Klagegesang, der Rosalie noch in den Ohren schrillte, als Haberatshofen sich schließlich zur Beerdigung zusammenfand. Zuvor hatte Willem in der Kapelle einige Worte gesprochen, die erschreckend nichtssagend gewesen waren und deutlich gemacht hatten, wie wenig zugehörig die Verstorbene in Haberatshofen gewesen war.

Susabells Grab lag am Rand des Friedhofs und war eine schmale Grube, der gefrorenen Erde beschwerlich abgetrotzt und dennoch weder breit noch lang genug, um einen Körper in ganzer Länge aufzunehmen; was schnell ersichtlich wurde, als Kunz und Theodor versuchten, den in ein Tuch gehüllten Leichnam ins Grab zu betten.

»Es geht nicht.« Theodors Blick wanderte aus Gewohnheit zu seiner Frau Judith, die ihrerseits betroffen zu Willem schielte.

Der Alte räusperte sich. »Jemand muss das übernehmen.«

»Wir haben schon das Grab geschaufelt.« Jeremias und Endres schüttelten einvernehmlich die Köpfe.

»Ihr habt es zu klein ausgehoben«, giftete Rebekkas Schwester Heidegret. »Schon deshalb solltet ihr es tun.«

»Ich könnte es versuchen«, bot Sara ungewohnt kleinlaut an.

»Schon gut, Mädchen.« Ava, die mit einer Erkältung kämpfte (ihre Nase war rot und schälte sich), fällte die Entscheidung. »Helft mir hinunter in die Grube. Ich sehe euch an, wie es euch gruselt.« Sprach’s, ließ sich leise ächzend von Romar und Josef ins Grab heben und machte sich daran, die Glieder der Toten zu arrangieren.

Als sie fertig war – und Rosalie hätte nicht zu sagen vermocht, wie sie das bewerkstelligt hatte –, lag der Leichnam seitlich zusammengerollt im Grab.

Ava nickte. Endres und Jeremias fassten sie bei den Armen und halfen ihr herauf, da fing ihre Nase an zu bluten und hörte noch nicht wieder auf, als längst gefrorene Erdklumpen auf Susabells Leichnam hinabregneten.

Rosalie konnte nicht mehr hinsehen. Stattdessen blickte sie zu dem mutterlosen Neugeborenen hin, das eben auf Rebekkas Arm aufwachte und zu schreien begann. Der verwitwete Josef stand Seite an Seite mit seiner Cousine, bis der Erdhaufen neben der Grube verschwunden und der Boden an den Rändern des Grabes festgetreten war. Als wollte er hinter dem Säuglingsgeplärre nicht zurückstehen, hob der Wind an, eisig zu brausen. Ob Susabells Grab je einen Stein bekommen wird?, dachte Rosalie. Sie glaubte es nicht, denn auch Osannas letzte Ruhestätte war namenlos geblieben. Da die Kennzeichnung fehlte, wusste sie nicht einmal, wo genau es lag.

Robs begann zu weinen, und gleich weinte Monika mit ihm. Nach dem Begräbnis küsste Josef zuerst seine Cousine, dann das Neugeborene. Rosalie betrachtete die Szene irritiert. Es fühlte sich verkehrt an. Gleich darauf wurde sie im Inneren stocksteif, die Erkenntnis war erschütternd: Der Witwer sah aus wie ein Mann, der am Ziel seiner Wünsche angekommen war.

»Sie ist bei ihm eingezogen. Um der Kleinen willen.« Sara hakte sich auf dem kurzen Weg ins Dorf bei Rosalie unter, während Romar ihnen mit hängenden Schultern folgte. »Rebekka, meine ich. So wird das Kind eine Mutter haben.«

»Sie sprechen ja ohnehin schon von Rebekka als Dagmars Mutter«, sagte Rosalie leise. »Ich habe es heute zwei- oder dreimal gehört. Und wenn ich mir Josef ansehe, wirkt er alles andere als unglücklich.



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