Das Pergament des Himmels: Roman by Antonio Manuel Garrido

Das Pergament des Himmels: Roman by Antonio Manuel Garrido

Autor:Antonio Manuel Garrido [Garrido, Antonio Manuel]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Belletristik, Historische Romane
ISBN: 9783746625836
Herausgeber: Aufbau Taschenbuch
veröffentlicht: 2016-11-20T23:00:00+00:00


III

16

Die dicke Favila erwies sich als eine temperamentvolle Frau, die sich durch zweierlei auszeichnete: Zum einen nahm sie jede Kleinigkeit zum Anlass, sich lautstark und wortreich zu ereifern, zum anderen schob sie sich bei jeder Gelegenheit etwas zu essen in den Mund. Sie schimpfte, weil die Herdstelle nicht ordentlich geputzt war, weil ihr die Arbeit nicht schnell genug voranging oder sie zu schludrig erledigt wurde, im Grunde aber wegen allem, und sie versüßte sich jede dieser Schelten durch ein Brötchen, ein Küchlein oder was sonst für ein Leckerbissen zur Hand war. Kinder liebte sie über alles, und bald begann sie mit solcher Begeisterung von Helgas zukünftigem Nachwuchs zu sprechen, als sei sie es, die das Kleine erwarte.

»Was ich allerdings nie verstehen werde, ist, wie etwas von der Größe einer Melone durch eine Öffnung hindurchpasst, die gerade mal den Durchmesser einer Pflaume hat«, meinte Favila zu Helga und reichte ihr, als diese ganz blass wurde, rasch ein Stück Pastete.

Helga ihrerseits stellte ihre kulinarischen Fertigkeiten unter Beweis, indem sie aus den Resten vom Mittagessen ein köstliches Schmorfleisch mit Sellerie und Karotten zubereitete. Favila kostete und war begeistert, das Eis war gebrochen.

Froh und zufrieden, dass sie der Schwarzen Helga hatte helfen können, bettete sich Theresa in jener Nacht auf ihr Strohlager. Sie schmiegte sich unter die Decke und dachte an Haldor, und ein wohliger Schauer lief ihr über den Rücken. Sie stellte sich seinen starken, festen Körper vor und seine warmen Lippen auf ihrem Leib … Sie vermisste ihn plötzlich so schmerzlich, dass sie sich vornahm, nach Würzburg zu gehen und ihn zu holen, wenn er nicht bald zurückkäme. Ganz egal, was sie dort erwartete.

Zu ungewohnt früher Stunde erhob sich die Schwarze Helga am nächsten Morgen von ihrer Pritsche in dem Vorratsraum, wo sie ihr Nachtlager hatte aufschlagen dürfen. Sorgfältig wusch sie sich das Gesicht und tauschte das grellbunte Kleid gegen einen dunklen Kittel, der ihre weiblichen Formen keusch verhüllte. In der Küche herrschte noch keinerlei Betrieb, offenbar war sie als Erste auf den Beinen. Sie schnitt sich ein Stück Käse ab und machte sich gutgelaunt daran, den Herdrost zu schrubben. Nach einer Weile traf auch Favila ein und traute ihren Augen nicht, so reinlich und bescheiden wirkte Helga mit dem schlichten Zopf und ohne das süßliche Parfum. Allein die hässliche Narbe auf ihrer Wange erinnerte noch an die Frau vom Vortag.

Als Theresa verschlafen in der Küche erschien, war das Frühstück gerade fertig. Die beiden Frauen lachten und neckten sie wegen des Strohs in ihrem Haar, das sie sich verlegen entfernte.

»Wenn du helfen willst, halt dich an Helga. Die hat hier schon vor Sonnenaufgang gewirbelt«, meinte Favila, und Theresa freute sich, dass die dicke Köchin erkannt hatte, was für eine tüchtige Frau ihre Freundin war.

Alkuin betete zu Gott und bat ihn um Vergebung. Es war nicht christlich von ihm gewesen, Lotario Gift in den Wein zu mischen, doch er hatte keine andere Möglichkeit gesehen, die Hinrichtung zu verhindern. Und manchmal musste man sich aus wichtigen Gründen anders verhalten, als es das Gebot der Nächstenliebe vorgab.



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