Das Nordseegrab. Ein Theodor Storm-Krimi by Tilman Spreckelsen

Das Nordseegrab. Ein Theodor Storm-Krimi by Tilman Spreckelsen

Autor:Tilman Spreckelsen [Spreckelsen, Tilman]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783104020136
Herausgeber: FISCHER E-Books
veröffentlicht: 2015-04-22T16:00:00+00:00


Seine Haut juckte und warf Blasen. Am Anfang hatte er seine nasse Kleidung ausgezogen, was sich nun als Fehler herausstellte. Jetzt schützte sie zwar wieder Beine, Bauch und Arme, aber das Gesicht brannte, und die Füße waren längst zu sehr angeschwollen, um noch in die Schuhe zu passen. Sie schmerzten bei jeder Bewegung, also bewegte er sie möglichst wenig. Während das Boot vor sich hin dümpelte, kühlte er die verbrannten Stellen mit Meerwasser. Auch als die ersten Blasen aufplatzten. Manchmal kratzte er sich minutenlang, wenn das Jucken unerträglich geworden war, und wenn er dann endlich aufhörte, war die Stelle offen und voller Blut. Überall bildeten sich neue Blasen, auch im Gesicht. Wenn sie sich öffneten oder aufgescheuert wurden, verschmierte ein dünner weißer Brei seine rote Haut.

Er hatte es längst aufgegeben, im Boot zu stehen und nach Schiffen auszuschauen. Seit dem vierten Tag lag er regungslos auf den Planken. Die Kopfschmerzen wurden schlimmer. Ein Rabe saß auf der Reling, und der Mann fragte sich, wie lange ihn der Vogel jetzt schon beobachtete. Dann hörte er eine heisere Stimme, die ihn in einer Sprache anredete, die er nicht verstand. Seine Lippen klebten zusammen, als hätte sie jemand aneinandergenäht. Der Rabe öffnete triumphierend den Schnabel. »Das hast du dir alles selbst zuzuschreiben, alles, von Anfang an«, sagte er, breitete die Flügel aus und drehte eine Runde über dem Boot. Er landete dicht neben dem Kopf des Mannes und legte seinen Schnabel an das verbrannte Ohr. »Alles«, flüsterte er wie verliebt.

Als der Mann sich schwerfällig zur Seite drehte, war der Rabe verschwunden. An seiner Stelle saß nun der Schiffsjunge. Er hatte die Augen geöffnet, aber er schien nichts zu sehen. Aus seinen Mundwinkeln tropfte es.

»Thomas«, rief der Mann glücklich. Auf den Oberarmen des Jungen und rings um den Hals verliefen grobe Narben, wie mit einer riesigen Nadel schlecht vernäht. »Du hast dir selbst geholfen, das ist gut. So habe ich euch das immer beigebracht, weißt du noch?«

Plötzlich lösten sich die Arme an den Nahtstellen und fielen vor dem Mann auf die Planken. Der Kopf hielt etwas länger. Dann rutschte er langsam vom Hals und fiel ohne ein Geräusch ins Meer. Nur der Rumpf saß weiter da, bis der Mann die Augen schloss.



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