Das Mysterium: Roman by Titus Müller

Das Mysterium: Roman by Titus Müller

Autor:Titus Müller
Die sprache: de
Format: mobi, epub
ISBN: 3746625262
Herausgeber: Aufbau Digital
veröffentlicht: 2009-01-01T23:00:00+00:00


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18

Zur Urteilsverkündung strömten eine Menge Leute herbei. Recht so. Sie sollten sehen, wer Amiel von Ax war. Sie sollten seine Demütigung sehen. Den halben Marktplatz füllten sie schon aus, die Färber, Kistler, Lederer, Bäcker, Gewandschneider, Wagner. Juden waren da. Seelfrauen. Klarissen vom Unteren Anger. Selbst den ältesten Sohn des Patriziers Mäusel konnte er ausmachen und die Frau des Edlen Pötschner.

Aus den Weinkellern rings um den Marktplatz hastete die Kundschaft heraus, um zuzuschauen, und in den Fenstern der Geschäftshäuser zeigten sich Gesichter von Adligen. Einige Kinder kletterten auf den Brunnen, um besser sehen zu können.

Vizenz hob den Bußbrief in die Höhe. »Vor dem Herrn Rechtsberater Hans Rosenbusch, vor den Notaren und der versammelten Bürgerschaft Münchens verlese ich im Namen der heiligen Inquisition der Kirche Gottes das Urteil über Amiel von Ax.«

Der Eisenfinger klopfte gegen seinen Backenzahn. Von Tag zu Tag wurde der Schmerz schlimmer. Er hätte zum Zahnbrecher gehen sollen, vor der Verkündung. Vizenz drückte mit der Zunge gegen den Zahn, aber es half nicht, sie kam an den Schmerz nicht heran, er quälte weiter, ohne Gnade. Würde es nicht noch schlimmer weh tun beim Zahnbrecher? Er hatte von Leuten gehört, denen ein Stück des Kiefers mit herausgebrochen worden war, oder Nachbarzähne. Gesunde, kräftige Männer waren nach der Behandlung krank geworden und kurz darauf gestorben. Vielleicht verschwand der Schmerz wieder, wenn er nur lange genug ausharrte und ihn erduldete?

»Ihr seid als Häretiker der infamia preisgegeben.« Oh, welche Genugtuung, endlich diese Worte auszusprechen! Natürlich, die Zeugenaussagen durch Adeline und die Schwangere waren nicht besonders nützlich. Für ein Todesurteil reichte es noch lange nicht. Aber Amiel war zumindest als Ketzer verurteilt! Es ging bergab mit ihm.

Hätten sie das versprochene Ketzerbuch gefunden, dann wäre alles einfacher gewesen. Aber dieser Fuchs hatte sie bereits erwartet, er war vorbereitet gewesen. In seiner Kammer hatte sich nichts gefunden, das ihn belasten konnte, keine Briefe, kein geweihtes Brot.

»Ihr verliert Euer Recht, als Bürger in ein öffentliches Amt gewählt zu werden. Ihr verliert zudem die Würdigkeit, ein Amt als Richter, Advokat oder Notar auszuüben, ungeachtet Eures Studiums des Rechts. Darüber hinaus habt Ihr eine Geldstrafe von zehn Pfund zu entrichten.« Eigentlich hatte er die stattliche Summe von zwanzig Pfund angesetzt, was in etwa dem Kaufwert eines halben Hauses entsprach, aber Amiel hatte sie geschickt auf zehn Pfund halbiert, weil er durch die Aussagen von Frauen verurteilt wurde, und Frauen waren zwar als Zeuginnen zugelassen, nur war dabei generell ein geringeres Bußgeld zu bezahlen, als wenn die Zeugen Männer gewesen wären. »Das Bußgeld fällt zu einem Drittel an die Stadt München, zu einem Drittel an die Zeugin, die den ersten Hinweis gab auf Eure Sünde, und zu einem Drittel an mich. Außerdem werdet Ihr zu sechzig Rutenschlägen verurteilt.«

Darauf hatte das Volk gewartet. Das Raunen schwoll an. Er sagte laut: »Das Urteil wird sofort vollstreckt.«

Der Henker trat an Amiel von Ax heran. Er hieß ihn, die Hände vor die Brust zu strecken, und band sie mit Weidenruten zusammen. Der Henker trug keine Kapuze. Das war auch nicht notwendig. Nach dem Aberglauben der Leute konnten ihn nur Todgeweihte mit ihren letzten Blicken verfluchen.



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