Das Migrationsproblem. Über die Unvereinbarkeit von Sozialstaat und Masseneinwanderung by Rolf Peter Sieferle

Das Migrationsproblem. Über die Unvereinbarkeit von Sozialstaat und Masseneinwanderung by Rolf Peter Sieferle

Autor:Rolf Peter Sieferle [Sieferle, Rolf Peter]
Die sprache: deu
Format: azw3
Tags: Sozialstaat, Migrationsproblem, Flüchtlinge, Masseneinwanderung, Sachbuch, Deutschland, Einwanderung, Geschichte, Politik
Herausgeber: Manuscriptum
veröffentlicht: 2017-05-14T22:00:00+00:00


c) Die Politik des Verschwindens

Eine große Ausnahme bildet Deutschland, wo sich eine breite Gesinnungsfront formiert hat, die das gesamte im Bundestag vertretene politische Spektrum umfaßt wie auch den größten Teil der Medien. Von außen ergibt sich der Eindruck, Deutschland habe sich in einen Hippie-Staat verwandelt,40 einen politischen Kindergarten, in dem die reine Gesinnung gegenüber der politischen Vorausschau und Rationalität den Sieg davongetragen hat. Diese umfassende politische Stimmung der »guten Menschen« in Deutschland trägt inzwischen geradezu totalitäre Züge. Alle Abweichler, die auf die Folgen hinweisen und skeptische Einwände hervorbringen, werden als »Rassisten«, »Pack«, »Dunkeldeutschland« etc. stigmatisiert. Eine offene rationale Debatte ist im Milieu des »herrschaftsfreien Diskurses« nicht mehr möglich.

Wie konnte das geschehen? Wie konnte ein ganzes Land (nicht zum ersten Mal in seiner Geschichte) jede politische Vernunft, jeden Pragmatismus und jeden Common Sense über Bord werfen? Wie konnte dieses Volk von Geisterfahrern zugleich meinen, es vertrete die einzig legitime Position, während der Rest der westlichen Staaten im Irrtum oder in der Unmoral befangen bleibt? Wollte die Welt sich wirklich noch einmal weigern, am deutschen Wesen (der beim Wort genommenen universalistischen Moral) zu genesen?

Der mentale Hintergrund für diese merkwürdige Verirrung liegt wohl in der deutschen Vergangenheit, in den Verbrechen des Nationalsozialismus und in den Versuchen, diese moralisch zu bewältigen. Die Deutschen erfahren sich seit 1945 als singuläres Tätervolk, und je intensiver die Versuche der Besserung waren, desto unerbittlicher wurden die Anklagen, von innen wie von außen. Wer möchte unter diesen Bedingungen ein Deutscher sein? Dazu ist schon eine gehörige Portion von Masochismus erforderlich. Die meisten Deutschen, vor allem im intellektuellen Milieu, möchten daher als Volk verschwinden, d. h. sie möchten sich in »Europa« oder gar in der »Menschheit« auflösen. Wenn es keine »Völker« mehr gibt, sondern nur noch »Menschen«, dann gibt es auch keine Deutschen mehr, die Erlösung vom schmutzigen Deutschtum hat also erfolgreich stattgefunden. Dieses Motiv findet sich, in je unterschiedlichen Formulierungen, im gesamten politischen Spektrum, vom linksradikalen Kampfruf »Deutschland verrecke« bis hin zu harmloseren Varianten, etwa der Ersetzung des Begriffs »Volk« durch »Bevölkerung« seitens der Bundeskanzlerin.

Die Deutschen befinden sich hier jedoch in der vertrackten Lage, daß der Wunsch nach Negierung der eigenen Identität nicht zur völligen Aufgabe eines Identitätsprogramms führen darf, also in die erwünschte Auflösung ihrer nationalen Gruppenzugehörigkeit in die abstrakte Relation von »Menschheit« und »Individuum«. Der Deutsche muß deutsch bleiben, sofern er an der »Erinnerungskultur« des Nationalsozialismus zu partizipieren hat, die ihm eine besondere »Verantwortung« auflädt. Er steht also in der Paradoxie, einerseits jede völkischtradierte Identität strikt abzulehnen, sie zugleich aber in Hinblick auf den Nationalsozialismus akzeptieren zu müssen. Damit gerät er in ein scharfes Spannungsverhältnis zwischen identitätsloser Pluralität im Sinne der Orientierung auf eine humanitäre Weltgesellschaft einerseits, und der harten, irreversiblen tribalen Identifikation mit seiner verbrecherischen Vergangenheit, die er nicht abstreifen darf (Verbot des Vergessens, Pflicht zur Erinnerung).

Die Struktur dieser Paradoxie wird deutlich, wenn man den Doppelcharakter der Verbrechen des Nationalsozialismus als »Holocaust« und »Shoah« ins Visier nimmt.

1. Als Holocaust steht der nationalsozialistische Völkermord für einen fundamentalen und extremen Verstoß gegen das Prinzip des humanitären Universalismus. Die



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