Das Lied der Hoffnung: Roman (German Edition) by Holeman Linda

Das Lied der Hoffnung: Roman (German Edition) by Holeman Linda

Autor:Holeman, Linda [Holeman, Linda]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: E-Books der Verlagsgruppe Random House GmbH
veröffentlicht: 2013-12-15T23:00:00+00:00


ZWEIUNDZWANZIG

Schon wenige Minuten, nachdem sie den Salon der Bakanews betreten hat, weiß Antonina, dass es ein Fehler war herzukommen.

Sie hat sich auf solchen Festen schon immer fehl am Platz gefühlt und nie so recht gewusst, was sie reden sollte, außer die Fragen nach dem Ergehen ihres Mannes zu beantworten oder von den jüngsten Streichen ihres Sohnes zu erzählen. Doch während sie nun von Grüppchen zu Grüppchen geht, wird ihr bewusst, dass niemand der umstehenden Frauen und Männer Konstantin oder Michail auch nur erwähnen wird. Abendveranstaltungen wie diese sind nicht der geeignete Ort, um unangenehme Themen aufs Tapet zu bringen.

Also lächelt und nickt sie und beantwortet mit so viel Würde wie ihr möglich die Kommentare jener, die ihr versichern, wie glücklich sie sind, sie hier zu sehen. Immer wieder versichert man ihr, wie schön sie aussieht, wenngleich sie weiß, dass das nicht stimmt. Sie fühlt sich unsicher in ihrem schwarzen Taftkleid und mit den schwarzen Federn im Haar. Sie hat sich gekleidet, als wäre sie tatsächlich Witwe, ein weiterer Fehler.

Sie beantwortet Fragen, die das Gut betreffen, zu dem Exodus der Leibeigenen, und ja, sie findet auch, dass der kühle Herbst eine Erleichterung nach der Hitze des Sommers ist.

Sie trinkt die Gläser Champagner, die man ihr anbietet, isst aber nichts. Während des Konzerts bleibt sie am hinteren Rand des Raums stehen. Sie genießt die Musik und beobachtet die acht Musiker, ohne sie wahrzunehmen: Sie sind wie eine Schar sich bewegender schwarzer Vögel, die schöne Laute von sich geben. Doch als der Pianist nach dem letzten Stück die ersten Takte von Glinkas Séparation in f-Moll anstimmt, fühlt sie sich wie in einen Teich mit eiskaltem Wasser gestoßen.

Vor ihrem geistigen Auge sieht sie Michail, der, sein kleines Kompositionsheft fest an die Brust gedrückt, seinem Vater hinterherläuft.

Als sie mit zitternder Hand ihr Glas abstellt, fällt ihr Blick auf den Geiger. Und plötzlich ist sie in das Haus ihres Vaters zurückversetzt und hört Walentin Wladimirowitsch zu, der den Pianisten auf der Violine begleitet, nachdem er kurz zuvor mit ihrer Mutter geschlafen hat.

Er weiß, er hat diese Frau in Schwarz schon einmal gesehen. Auf einem der großen Güter, die den Norden der Provinz Pskow sprenkeln. Als Walentin noch dem wohlhabenden Prinzen Sergius Denisowitsch Jablonski gehörte, bestimmte dieser, wann, was und vor wem sein sorgfältig zusammengestelltes Orchester spielte. Für das Publikum der exklusiven Salons und Ballsäle war das Leibeigenenorchester immer eine willkommene Unterhaltung. Für Walentin war es sein Leben: diese erhebende Freiheit der Musik im Kontrast zum Gefängnis seiner Leibeigenschaft.

Doch inzwischen hat sich alles geändert. Er ist ein freier Mann und kann selbst entscheiden, wo er spielen möchte, mit wem und für wen. Ja, in Russland hat sich seit der Aufhebung der Leibeigenschaft alles geändert.

Und sie – diese Frau – hat sich ebenfalls verändert. Ihr Gesicht ist schmaler geworden, fast von durchscheinender Blässe, und ihre Augen … nun, sie sieht älter aus, beschließt Walentin, aber nicht nur in dem Maße älter wie die Jahre verflossen sind, seit er sie zuletzt gesehen hat – ist es ein Jahrzehnt her, oder mehr? Nein, ihr Blick zeugt noch von einer Veränderung, die viel tiefer reicht.



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