Das Jahrhundert meines Vaters by Mak Geert

Das Jahrhundert meines Vaters by Mak Geert

Autor:Mak, Geert [Mak, Geert]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2015-05-17T16:00:00+00:00


KAPITEL 10

Honeymoon

In diesem Sommer 1942 besuchte Anna als braves holländisches Schulmädchen die zehnte Klasse des Gymnasiums in Zeist. Alles in ihrem Leben lief mehr oder weniger normal weiter, abgesehen davon, dass die Wehrmacht das halbe Schulgelände beschlagnahmt hatte und sie von ihrem Klassenzimmer aus den ganzen Tag halbnackte Soldaten sah, die hinter dem Gebäude ihre Trainingsrunden drehten.

Heimweh nach den Eltern hatten weder Anna noch Cas. Diesem ist einmal sogar die Äußerung entschlüpft, er habe den Krieg als herrliche Zeit empfunden, weil man ihm da so viel Freiheit ließ. Allerdings träumte er ein paarmal, schrieb er später, dass er mit einem Luftballon wieder in dem indonesischen Garten neben der Kirche landete. »Ein schöner Traum, aber es ging mehr um den Garten als um das Haus.« Die Niederlande und die Menschen dort blieben ihm noch lange fremd. »Nicht nur, dass die Sonne dort in Ostindien so etwas wie der chinesische Kaiser war und hier ein kränklicher Beamter, dort konnte man um eine Mundharmonika feilschen, hier gab es feste Preise. Dort hatten die Menschen etwas Wildes, hier waren sie säuerlich.«

Bei ihren Pflegeeltern waren Anna und Cas nicht sehr glücklich. »Wir waren bei ihnen interniert«, meinte Cas. Zum ersten Konflikt kam es gleich nach der Abreise meiner Eltern. Anna fasste Zuneigung zum Sohn des Hauses, und er zu ihr. In sehr ernstem Ton wurde die Affäre nach Medan gemeldet. »Anna ist viel zu jung, um daran zu denken, und wir haben beiden deshalb auch nachdrücklich zu verstehen gegeben, dass solche Beziehungen nicht in Frage kommen.« Das Zimmer des anderen war von da an tabu. Zusammen Hausaufgaben zu machen – Anna hatte noch etwas in der Richtung vorgeschlagen –, war nur im Wohnzimmer gestattet, unter Aufsicht. »Kein einziger Kuss« war mehr erlaubt.

Dann kam der Sommer. Mit der Pflegefamilie war verabredet worden, dass Anna und Cas die Ferien anderswo verbringen sollten, und trotz der besonderen Umstände hielt man starr an der Abmachung fest. Ob sie nun das erste Mal ohne die Eltern waren oder nicht, zum 1. Juli mussten sie weg und allein zurechtkommen. In den alten Sammelmappen der Familie fand ich noch die Bettelbriefe, in denen Anna bei Großeltern, Onkeln und Tanten um Aufnahme für etwa eine Woche bat.

Und dann noch die Politik: In der Pflegefamilie war man offenbar außerordentlich pro-deutsch oder, besser gesagt, anti-englisch. »Mein Pflegevater war kein Landesverräter oder so«, hat Anna später gesagt. »Er war ein guter, zuverlässiger Arzt. Er hatte einfach Angst und war verwirrt, und er liebte die Ordnung. Im Grunde war er ein sehr sensibler Mann, er tat mir oft Leid. Er mochte mich auch sehr gern.«

In der stillen, beklemmenden Zeit nach der Besetzung war die Schule für Anna und Cas zum zweiten Zuhause geworden. »Wir unternahmen viel mit unseren Mitschülern zusammen, denn die Klassen waren klein«, erzählte Anna. »Und es kam noch hinzu, dass sonst auch fast nichts mehr erlaubt war, keine Vereine mehr, keine Versammlungen, nichts, und so blieb einem nur die Klasse. Wir machten gemeinsam Hausaufgaben, hörten uns gegenseitig ab, und als ich einmal ein paar Wochen krank war, bekam ich jeden Tag Briefe von der Klasse.



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