Das Herz ihrer Tochter by Jodi Picoult

Das Herz ihrer Tochter by Jodi Picoult

Autor:Jodi Picoult
Die sprache: de
Format: mobi, epub
veröffentlicht: 2011-11-11T19:06:44+00:00


LUCIUS

In der Nacht, als Shay seinen zweiten Krampfanfall hatte, war ich wach und damit beschäftigt, für ein weiteres Tattoo Tinte herzustellen. Ich will mich ja nicht selbst loben, aber ich bin ziemlich stolz auf meine selbst gemachten Tattoos. Ich hatte fünf - ich sagte mir nämlich, dass mein Körper, bis vor drei Wochen jedenfalls, höchstens noch als Leinwand für meine Kunst etwas taugte, zumal sich die Gefahr, mir mit einer schmutzigen Nadel Aids einzufangen, in meinem Fall ja wohl erledigt hatte. Am linken Fußknöchel hatte ich eine Uhr, deren Zeiger den Zeitpunkt von Adams Tod markierten. Auf dem linken Oberarm hatte ich einen Engel und darunter ein afrikanisches Stammesmotiv. Mein rechtes Bein zierte ein Stier, mein Sternzeichen, und daneben schwamm ein Fisch, weil Adams Sternzeichen Fische gewesen war. Für das sechste Tattoo hatte ich mir etwas ganz Besonderes ausgedacht: Das Wort GLAUBEN, in gotischer Schrift, sollte rechts auf meiner Brust prangen. Ich hatte mit Bleistift und Kugelschreiber die Buchstaben von hinten nach vorn und auf den Kopf gedreht so lange geübt, dass ich mir sicher war, es auch mit meiner Tattoopistole vor dem Spiegel hinzukriegen.

Meine erste Pistole hatten die Aufseher konfisziert, wie das Spritzbesteck von Crash. Sechs Monate hatte es gedauert, bis ich die Teile für die neue zusammenhatte. Die Herstellung der Tinte war mühselig, aber noch mühseliger war es, das unauffällig zu machen - weshalb ich mich nur tief in der Nacht damit befaßte. Ich hatte einen Plastiklöffel angezündet und die Flamme so klein wie möglich gehalten, damit ich den Rauch in einer Plastiktüte auffangen konnte. Es stank entsetzlich, und ich hatte gerade beschlossen, lieber aufzuhören, ehe die Aufseher im wahrsten Sinne des Wortes etwas witterten, als Shay Bourne nebenan zusammenbrach.

Diesmal war sein Anfall anders gewesen. Er hatte geschrieen - so laut, dass der ganze Trakt wach wurde. Offen gestanden, Shay sah aus wie ein Häufchen Elend, als er auf einer Rolltrage weggekarrt wurde, und keiner von uns rechnete damit, ihn noch mal wiederzusehen - weshalb ich meinen Augen zuerst nicht trauen wollte, als er am nächsten Tag zurück in seine Zelle gebracht wurde.

»Po-li-zei«, brüllte Joey Kunz, gerade rechtzeitig für mich, um meine Tattooutensilien unter der Matratze verschwinden zu lassen. Die Aufseher schlossen Shay in seiner Zelle ein, und sobald die Tür von Block I hinter ihnen zugefallen war, fragte ich Shay, wie es ihm gehe.

»Der Kopf tut mir weh«, sagte er. »Ich muss schlafen.«

Da Crash wegen der Sache mit seinem Spritzbesteck noch immer in Isolationshaft saß, war alles relativ ruhig. Calloway schlief tagsüber meistens und blieb die ganze Nacht wach mit seinem Vögelchen; Texas und Pogie spielten virtuelles Pokern; Joey guckte seine Seifenopern. Ich wartete sicherheitshalber noch fünf Minuten ab, bis die Aufseher im Kontrollraum wieder anderweitig beschäftigt waren, und griff dann unter meine Matratze.

Ich hatte eine Gitarrensaite aufgedröselt und aus dem Metallkern in der Mitte eine Nadel gemacht. Die steckte ich in einen Kuli, aus dem ich die Mine entfernt hatte - und von dessen Spitze ich ein kleines Stück abgesägt und am anderen Ende der Nadel befestigt hatte, was ich dann mit der Motorwelle eines Kassettenrekorders verband.



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