Das Gitft der alten Heimat by Heinz G. Konsalik
Autor:Heinz G. Konsalik [Konsalik, Heinz G.]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2010-09-28T04:00:00+00:00
Am zweiten Samstag des Aufenthalts von Onkel Johann bei Emma Kerbel geschah dann das Wunder im Leben der kleinen, mausgesichtigen Näherin. Eine Flut von Boten und Botinnen ergoß sich in das stille, dunkle Haus in der Adalbertstraße. Zuerst lieferte das beste Pelzgeschäft Bochums einen wundervollen Persianermantel ab. Er paßte hervorragend, denn Onkel Johann hatte die Maße Emmas aus ihrem Schneiderbuch abgeschrieben. Ein anderer Lieferwagen brachte eine neue elektrische Nähmaschine und eine schwarze Kleiderpuppe, ein dritter Wagen vom besten Stoffgeschäft der Stadt entlud Ballen der feinsten, modernsten Stoffe.
Sprachlos stand Emma Kerbel in ihrer Wohnung, ließ die Sachen irgendwo abstellen und saß dann vor den Schätzen wie ein Mensch, der im Banne eines Traumes steht. Sie strich mit den Fingern über das weiche, gekräuselte Haar des Persianers, über die blanken Chromteile der neuen Maschine, über den glatten Leib der Puppe, über die seidenen Flächen der Stoffe. Sie schloß dabei die Augen, und Tränen tropften unter den geschlossenen Lidern über ihre blassen, eingefallenen Wangen.
Das kann ich doch nicht annehmen, dachte sie erschreckt. Das ist viel zuviel. Für das bißchen Kaffee und das alte Bett, in dem er schlafen durfte, braucht er mir doch nicht soviel zu schenken.
Sie sprang auf.
Nein, sagte sie sich. Ich muß es wieder zurückgeben. Hätte ich doch bloß nicht gesagt, was ich mir wünschte, wenn ich viel Geld besitzen würde. Er hat es sich gemerkt, und jetzt denkt er vielleicht noch, ich hätte es ihm gesagt, damit er mir das alles kaufen soll.
Ihre Selbstvorwürfe wurden noch stärker und drohten sie völlig zu deprimieren, als ein Gepäckträger kam und sie bat, ihm die Koffer des Herrn Johann Müller auszuhändigen. Der Herr käme nicht mehr zurück. Er warte auf dem Bahnhof und müßte den nächsten Zug nehmen. Einen Brief habe er, der Bote, auch abzugeben. Damit überreichte er Emma Kerbel ein verschlossenes Kuvert, packte die Koffergriffe, stöhnte, als ihm das Gewicht die Arme auszureißen drohte, und stapfte die Treppe hinab.
Emma Kerbel saß auf dem Küchenstuhl und wagte nicht, den Brief Onkel Johanns aufzuschlitzen. Er kam nicht wieder, das wußte sie jetzt. Er fuhr ohne Abschied von ihr fort. Er hatte sich nicht wohl gefühlt bei ihr – das war jetzt ihr einziger Gedanke. Ich war unbescheiden, ich habe ihm gesagt, was ich haben möchte, und er hat es mir auch gekauft, aber nun will er nichts mehr wissen von mir.
Sie saß eine ganze Zeit, ehe sie die Kraft gewann, den Brief zu öffnen. Mit der Angst, Vorwürfe entgegennehmen zu müssen, las sie stockend die Zeilen. Doch dann überzog ihr Gesicht eine solche Verblüffung, ein solches Erstaunen über ein unfaßbares Rätsel, daß sie die Zeilen noch einmal lesen mußte, um den Inhalt voll zu begreifen.
›Meine liebe Emma!
Sei nicht böse, wenn ich so plötzlich wieder abfahre. Ich möchte nicht, daß Du mir dankst, denn Du hast in deinem Leben lange genug den Kopf beugen müssen, um kleinerer Dinge willen. Wenn ich Dir eine Freude mache, so ist das auch für mich eine Genugtuung, denn ich habe bei Dir gesehen, daß der Mensch zufrieden sein kann, auch wenn es ihm nur gelingt, das nackte Leben von einem Tag auf den anderen zu fristen.
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