Das Attentat by Harry Mulisch

Das Attentat by Harry Mulisch

Autor:Harry Mulisch [Mulisch, Harry]
Die sprache: eng
Format: epub
Herausgeber: Unknown publisher
veröffentlicht: 2013-06-15T16:00:00+00:00


2

Während der Hitzewelle Anfang Juni 1966 mußte Saskia zur Beerdigung eines alten Freundes ihres Vaters, eines prominenten Journalisten, den auch sie seit dem Krieg kannte. Sie hatte Anton gefragt, ob er mitkommen wolle, und als ihm ein freier Tag bewilligt wurde, wollte er Sandra mitnehmen, ihr Kind, das mittlerweile vier Jahre alt war.

»Muß das wirklich sein, Ton?« fragte Saskia. »Der Tod ist nichts für Kinder.«

»Einen lächerlicheren Aphorismus habe ich selten gehört«, sagte er.

Das klang schärfer, als er beabsichtigt hatte. Er entschuldigte sich und gab ihr einen Kuß. Sie beschlossen, nach der Beerdigung an den Strand zu fahren.

Sein Schwiegervater, der genauso alt war wie das Jahrhundert, war gerade pensioniert worden und wohnte in einem Landhaus in Gelderland; er wollte mit dem Wagen kommen. Saskia rief ihn an und fragte, ob er sie nicht abholen wolle, dann könnten sie vorher noch zusammen Kaffee trinken. Aber er reagierte wie ein echter Provinzler: Er lasse sich in Amsterdam nicht mehr blicken, wo sie denn hindächten, ob er sich womöglich von einer Meute Provos überfallen lassen solle. Er lachte, als er das sagte, aber er kam nicht (obwohl er schon größeren Herausforderungen getrotzt hatte).

Die Beerdigung fand in einem Dorf nördlich von Amsterdam statt. Sie parkten ihren Wagen am Ortsrand und gingen, schwitzend in ihren dunklen Kleidern, zu der kleinen Kirche. Sandra war ganz in Weiß gekleidet und hatte deshalb keine Not mit der Sonne. Auf dem Dorfplatz herrschte ein großes Gedränge vornehmlich älterer Männer und Frauen, die sich alle kannten. Jeder begrüßte jeden, und zwar nicht niedergeschlagen und traurig, sondern lachend und oft mit einer ausgelassenen Umarmung. Es waren auffallend viele Fotografen gekommen. Aus einem großen schwarzen Cadillac stieg ein Minister, der in letzter Zeit im Zusammenhang mit den Krawallen in Amsterdam für Schlagzeilen gesorgt hatte. Auch er wurde mit Küssen und Schulterklopfen begrüßt.

»Das sind alles Leute, die gegen die Deutschen gekämpft haben«, sagte Anton zu seiner Tochter.

»Im Krieg«, sagte sie mit einem Gesicht, das deutlich machte, daß sie genau Bescheid wußte, und richtete mit einer resoluten Drehung den Kopf ihrer Puppe aus.

Mit einem anhaltenden Gefühl der Erregung musterte Anton die Anwesenden. Er kannte niemanden; nur Saskia grüßte ein paar Leute, von denen sie aber nicht mehr wußte, wie sie hießen. In der nüchternen, protestantischen Kirche, in der der Organist bereits zu spielen begonnen hatte, setzten sie sich in die letzte Reihe. Als der Sarg hereingetragen wurde, standen alle auf, und Anton legte den Arm um Sandras Schultern, die flüsternd fragte, ob in dem Sarg nun der Mann liege. Die Witwe wurde von de Graaff am Arm geführt; betrübt – natürlich –, aber mit erhobenem Kopf blickte sie auf die Trauergäste und nickte ab und zu mit einem leichten Lächeln.

»Opa!« rief Sandra plötzlich laut.

De Graaff drehte kurz den Kopf zur Seite und zwinkerte ihr zu. Die Witwe und er setzten sich in die erste Reihe neben den Minister. Anton bemerkte nun auch den Bürgermeister von Amsterdam. Die Trauerrede hielt ein berühmter Pastor, der jahrelang in einem Konzentrationslager gesessen hatte. Die Kapriolen seiner Stimme, bei denen



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