Charlie Johnson in den Flammen by Michael Ignatieff

Charlie Johnson in den Flammen by Michael Ignatieff

Autor:Michael Ignatieff [Ignatieff, Michael]
Die sprache: deu
Format: epub, mobi
veröffentlicht: 2011-12-18T05:00:00+00:00


8

Etta flog heim in die kleine Stadt im – wie Charlie es nannte – kleinen Land und ließ sich zurücksinken in den Lebensrhythmus ihrer Eltern. Sie ging mit ihrer Mutter einkaufen und mit ihrem Vater zum Arzt, damit er seine Spritzen bekam. Sie waren achtzig und vierundachtzig und lebten seit ihrer Heirat in derselben Wohnung. Etta saß abends mit ihrem Vater am Küchentisch und spielte Karten, während ihre Mutter das Geschirr abwusch. Nichts hatte sich seit ihrer Kindheit verändert. Die Tapeten nicht und auch nicht der Feuerwehrkalender neben der Tür, auch wenn er jedes Jahr ausgetauscht wurde. Die Rituale waren die gleichen – sie las laut aus der Lokalzeitung vor, ihr Vater nickte, und ihre Mutter stellte die Teller in das Abtropfgestell. Etta war glücklich, zu Hause zu sein.

Tagsüber bügelte sie für ihre Mutter und hörte dem Klatsch und Tratsch zu. Der hatte sich gegenüber früher von der Stadt auf ihre Straße und von da schließlich in das Treppenhaus verlagert. Ihr Vater war vergesslich geworden, aber es war eine Vergesslichkeit, die nicht besonders auffiel. Eines Abends stand Etta in der Tür zum Schlafzimmer der beiden, wo sie in getrennten Betten schliefen, lauschte ihrem Atem und hatte das Gefühl, dass sie schutzbedürftig geworden waren wie Kinder.

Sie zahlte ihre Rechnungen, vereinbarte mit den Nachbarn, dass das Feuerholz die drei Stockwerke hinaufgetragen und auf dem Balkon gestapelt wurde. Sie unternahm einsame Spaziergänge hinaus auf die nackten Felder vor der Stadt. Eines Abends vor dem Zubettgehen strich die Mutter über Ettas Gesicht und sagte, sie sehe aus, als hätte sie Sorgen. Etta lächelte und meinte, es sei alles in Ordnung. Ihre Mutter schlug vor, Onkel Stefan einmal zu besuchen. Sein Geschäft laufe gut, und er sei in eine große Villa hoch über der Stadt gezogen. Er lebe immer noch allein. Etta küsste ihre Mutter auf die Stirn und sagte, sie solle sich hinlegen.

»Warum besuchst du ihn nicht? Er fragt nach dir.«

»Ich freue mich für ihn. Jetzt geh schlafen.« Ihre Mutter verschwand im Schlafzimmer, doch bevor sie die Tür schloss, warf sie ihrer Tochter noch einen besorgten, fragenden Blick zu.

Wie immer, wenn sie ihre Eltern besuchte, hielt sich Etta von ihm fern. Es schmerzte schon lang nicht mehr und machte nicht mal mehr viel aus. Sie hatte damit abgeschlossen, wollte ihm aber dennoch nicht begegnen und das auch nicht mit ihrer Mutter besprechen, obwohl sie sich fragte, was ihre Mutter wusste oder nicht.

An diesem Abend, als ihre Eltern bereits schliefen, rief Etta Meg an und erfuhr von dem Vorfall mit Shandler und dass es passiert sei, nachdem Charlie sich die Bänder angesehen habe. Jetzt sei er verschwunden, und niemand wisse, wohin. Meg sagte, er habe gelächelt, als er aus Shandlers Büro den Flur entlangkam, und sei geradewegs nach draußen marschiert, mit nichts in der Hand als einem Foto. Etta gefiel die Geschichte nicht, besonders nicht Charlies Lächeln. Die Jahre über hatte sie seine Zweikämpfe mit Shandler verfolgt, und nicht selten hatte er sich anschließend dumm verhalten. Sie dachte an die zertrümmerte Perrierflasche. Jetzt hatte er gelächelt.



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