Buddhas kleiner Finger by Viktor Pelewin

Buddhas kleiner Finger by Viktor Pelewin

Autor:Viktor Pelewin [Pelewin, Viktor]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 3-353-01140-4
veröffentlicht: 2013-11-15T05:00:00+00:00


7

»Dynamo! Dynamo! Wirst du wohl herkommen, Biest!«

Ich sprang vom Bett. Irgendein junger Kerl, der einen abgerissenen schwarzen Überzieher auf dem nackten Oberkörper trug, rannte auf dem Hof brüllend hinter seinem Pferd her.

»Dynamo! Bleib stehen, dumme Trine! Wo willst du denn hin!«

Unter meinem Fenster schnaubten noch mehr Pferde, umringt von einer großen Menge rotgardistischer Soldaten, die es gestern hier noch nicht gegeben hatte. Daß es rote Truppenteile waren, ließ sich eigentlich nur an ihrem losen Aufzug erkennen – bunt zusammengewürfelt, überwiegend Zivil, woraus man schließen durfte, daß die Kleiderkammern vorzugsweise bei Plünderungen aufgefüllt worden waren. Ein Mann mit Budjonnymütze (der rote Stern schief angeheftet) stand inmitten des Haufens und gab, mit den Armen rudernd, irgendwelche Anweisungen. Von der großen roten Säbelschramme quer über die Wange einmal abgesehen, erinnerte er mich verblüffend an jenen Furmanow, Kommissar des Weberbataillons aus Iwanowo, den ich auf dem Meeting vor dem Jaroslawler Bahnhof kennengelernt hatte.

Meine Aufmerksamkeit wurde bald von dem bunten Haufen abgelenkt, denn mitten auf dem Hof sah ich eine Kalesche stehen. Vier Rappen wurden gerade angespannt. Es war ein langer, offener Landauer mit Pneureifen und Stahlfederung, die Sitzbänke aus kostbarem Holz und mit weichem Leder bezogen, Reste einer Vergoldung waren erkennbar. Dieses edle Gefährt weckte eine unaussprechliche Nostalgie in mir – Splitter einer auf ewig dahingegangenen Welt, deren Bewohner der naiven Hoffnung angehangen hatten, sich mit solchen Transportmitteln in die Zukunft retten zu können. Nun hatte es sich so ergeben, daß die Transportmittel den Marsch in die Zukunft allein angetreten hatten, und dies um den Preis ihrer Verwandlung in hunnische Streitwagen. Jedenfalls kamen einem solche Assoziationen, wenn man die drei »Lewis«-MGs auf einer Stange am Heck des Landauers sah.

Ich trat vom Fenster zurück, setzte mich auf das Bett. Mir fiel ein, daß diese MG-Wagen bei den russischen Militärs »Tatschanka« hießen. Die Herkunft dieses Wortes war rätselhaft – beim Anziehen der Stiefel wälzte ich alle möglichen etymologischen Varianten und fand nichts Passendes. Nur ein blöder Kalauer fiel mir ein: Tatschanka – touch Anka. Nach dem gestrigen Geplänkel mit der schönen Frau (allein die Erinnerung trieb mir das Blut ins Gesicht und die Falten auf die Stirn) mußte ich ihn wohl oder übel für mich behalten.

Mit derlei Gedanken im Kopf lief ich die Treppe hinab und auf den Hof hinaus. Jemand sagte mir, daß Kotowski mich in der Stabsscheune erwartete, und ich begab mich, ohne zu zögern, dorthin. Am Eingang hielten zwei Soldaten in schwarzen Uniformen Wache – als ich an ihnen vorüberging, standen sie stramm und salutierten. Ihren gespannten Gesichtern sah man an, daß sie sehr gut wußten, wer ich war – leider hatte die Verletzung auch ihre Namen aus meinem Gedächtnis radiert.

Kotowski saß in einem sandgelben, bis obenhin zugeknöpften Uniformrock auf dem Tisch. Er war allein im Raum. Als erstes bemerkte ich die Totenblässe in seinem Gesicht – es sah aus wie dick gepudert. Augenscheinlich hatte er schon am Morgen heftig dem Kokain zugesprochen. Neben ihm auf dem Tisch stand ein schlanker Glaszylinder, in dem sich Wölkchen einer geschmeidigen weißen Substanz langsam auf und nieder bewegten.



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