BLUTRAUSCH by Günter Brödl

BLUTRAUSCH by Günter Brödl

Autor:Günter Brödl [Brödl, Günter]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Milena Verlag
veröffentlicht: 2015-10-17T16:00:00+00:00


22

Brunner zieht ein zweites Bild aus der Tasche.

»Sie wissen, was jetzt kommt, Herr Weinhofer«, sagt er. »Und auch Sie sind herzlich eingeladen, Herr Doktor.«

Die Oberschwester, die pünktlich nach zehn Minuten ins Besucherzimmer kam, um den Herrn Josef zurück ins Bett zu holen, und nun schon die ganze Zeit in Vernachlässigung ihrer Pflicht Brunners Tatsachenbericht lauscht, drängt mich resolut zur Seite, um ja als Erste einen Blick auf das Phantombild eines sächselnden Profi-Killers werfen zu können.

»Das traut man dem gar ned zu. Wie der Schein oft trügt«, kommt sie ins Philosophieren.

Aber der Herr Josef hat die für Brunner wesentlichere Erkenntnis: »Der war am Freitag da. Ja. Am Nachmittag. Der und der Doldinger. Hat einen kleinen Mokka bestellt und wollt telefonieren. Weil die zwei Telefonzellen in der Gegend schon wieder außer Betrieb sind. Jetzt kommen s’ alle zu mir. Fünf Leut mindestens am Tag. Und er auch. Is nach hinten, ein paar Minuten, dann hat er seinen Mokka ausgetrunken und is wieder gegangen. Und hat ein paar Minuten später den Rudi umgebracht.«

Der Herr Josef schüttelt den Kopf.

Brunner schiebt mir das Phantombild über den Tisch. Ein junger Götz George, verbissen, mit starker Gastritis. Ich weiß nicht, ob ich den Typ schon einmal gesehen habe. Vielleicht am Donnerstag, als im Rallye die Hölle los war und gegen Mitternacht eine Sensation in einem rubinroten Kostüm das Lokal betrat, weil sie telefonieren wollte; eine Sensation, mit der ich jetzt auf dem Weg nach Schwechat wäre, in ihrem Mietwagen, in dem es nach Zimt, Mandeln und tausend orientalischen Geheimnissen duftet.

»Na, Herr Doktor, vielleicht am Donnerstag … «, sagt Brunner.

»Möglich«, sage ich. »Ich schau mir die Leut nicht so genau an.«

»Die Leut nicht, aber die Damen«, sagt Brunner und lacht. „Er war da. Donnerstag auf d’ Nacht. Wie wir uns zufällig getroffen haben. Er war hinten beim Flipperautomaten und dann ist er kurz neben dem Skocik an der Bar gestanden. Hat beim Rudi einen Kaffee bestellt, und der Rudi hat ihn gefragt, was für einen Kaffee er haben will, weil Kaffees gibt’s viele und jeder ist anders. Da war es offensichtlich, daß er nicht vom Grund ist. Aber mir ist schon vorher aufgefallen, daß der Mann neu im Lokal ist und sich für alles interessiert, nur nicht für einen persönlichen Anschluß.«

»Und woran merken Sie sowas, Herr Oberinspektor?«, fragt die Oberschwester, deren ganzes Interesse zuerst von der Bettruhe des Herrn Josef zu Brunners detaillierter Schilderung abgedriftet ist, und das jetzt nur noch dem Mann hinter der rauen Schale des Kriminalisten gilt.

»Training«, sagt Brunner. »Fünfundzwanzig Jahre hartes Training. Wann haben Sie heute eigentlich Dienstschluß, Schwester …?«

»Ursula«, sagt die Hantige, ein leises Beben in der Stimme. »Warum wollen S’ denn das wissen?«

»Man ist viel im Dienst, aber man ist auch ein bißl Mensch«, sagt Brunner und produziert den vielsagendsten Dackelblick, den ich seit Lino Venturas Glanzzeit gesehen habe.

»Um acht«, sagt sie und errötet sanft.

Der Herr Josef, der die letzte Zeit ganz in sich versunken dagesessen ist, stört durch lautes und anhaltendes Husten. Also befindet Schwester Ursula schweren Herzens, daß es höchste Zeit ist für den Herrn Weinhofer, ins Bett zu gehen.



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