Blutmusik by Bear Greg
Autor:Bear, Greg [Greg, Bear,]
Format: epub
veröffentlicht: 2015-01-31T05:00:00+00:00
22
Am vierten Tag gingen die Lichter aus – am Morgen, kurz nachdem sie erwachte. Sie zog ihre Modelljeans an, ihren besten Büstenhalter und einen Pullover, nahm die Windjacke aus dem Schrank hinter der Treppe, und trat hinaus ins Tageslicht. Nicht mehr gesegnet, dachte sie. Nicht mehr begehrenswert für den Teufel oder sonstwen. »Mit meinem Glück geht’s zu Ende«, sagte sie laut.
Aber sie hatte Nahrung, und das Wasser lief noch immer. Sie überdachte ihre Lage und kam zu dem Schluß, daß sie nicht allzu schlecht dran sei. »Entschuldige, lieber Gott«, sagte sie und blinzelte zum Himmel auf.
Die Häuser auf der anderen Straßenseite waren vollständig verhängt mit braun und weiß gefleckten Laken, die wie Haut oder Leder in der Sonne glänzten. Die Bäume und Eisengeländer waren mit Fetzen vom gleichen Zeug behangen. Auch auf ihrer Seite waren die Laken drauf und dran, die Häuser zu überwachsen.
Es war Zeit, fortzugehen. Sie würde nicht mehr lange verschont bleiben.
Sie packte Lebensmittel in Kartons und stapelte diese im Einkaufswagen. Auch das Gas war noch an; mit den letzten Eiern und Speckstreifen briet sie sich ein feines Frühstück, toastete Brot über der Gasflamme, wie ihre Mutter es ihr beigebracht hatte, bestrich es mit dem Rest Butter und legte dick Marmelade auf. Davon aß sie vier Schnitten, dann ging sie die Treppe hinauf und packte eine kleine Reisetasche. Unbeschwert reisen, dachte sie. Dicke Winterjacke und warme Sachen, Revolver, Stiefel. Wollsocken aus den Schubladen ihrer Brüder. Handschuhe. Grenzlandzeit. Pionierzeit.
»Vielleicht bin ich die letzte Frau auf Erden«, überlegte sie. »Ich muß praktisch denken.«
Der letzte Gegenstand, der in den am Fuß der Stufen auf dem Gehsteig wartenden Einkaufswagen kam, war das Transistorradio. Sie spielte es jeden Abend nur ein paar Minuten lang, und sie hatte bei Mithridates eine Schachtel Batterien mitgehen lassen. Das sollte für einige Zeit reichen.
Aus dem Radio hatte sie erfahren, daß die Leute sehr besorgt waren, nicht bloß wegen Brooklyn, sondern wegen der gesamten Vereinigten Staaten, bis zu den Grenzen, auch wegen Mexiko und Kanada. Kurzwellensendungen aus England verbreiteten sich über die Stille, die »Seuche«, über Flugreisende in Quarantäne, und über U-Boote und Flugzeuge, die die Küsten überwachten. Bisher sei noch kein Flugzeug in das Innere Nordamerikas vorgedrungen, sagte ein sehr distinguiert klingender britischer Kommentator, aber Satellitenaufnahmen, so hieß es, zeigten eine gelähmte, vielleicht tote Nation.
Ich nicht, dachte Suzy. Gelähmt bedeutet ohne Bewegung. »Ich werde mich bewegen. Kommt nur mit euren U-Booten und Flugzeugen und schaut mich an! Ich werde mich bewegen.«
Am Spätnachmittag schob sie den Einkaufswagen durch die Straßen. Nebel verhüllte die fernen Türme Manhattans und ließ nur die blasse Silhouette des World Trade Centers über weißlich graue Undurchsichtigkeit aufragen. Sie hatte noch nie so dichten Nebel auf dem East River gesehen.
Als sie über die Schulter zurückblickte, sah sie große braune und gelbliche Fetzen wie Segel oder Drachen im Wind über der Cadman Plaza schweben. Die Williamsburgh-Sparkasse war in ihrer ganzen Höhe von hundertfünfzig Metern in braune Laken eingehüllt, wie ein Wolkenkratzer, der als Paket verschickt werden soll. Sie hielt auf die Brückenrampe zu, als ihr der Gedanke kam, wie sehr sie einer der mit Plastikbeuteln behangenen obdachlosen Frauen ähneln mußte.
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