Bitte, laßt die Blumen leben Roman by Johannes Mario Simmel

Autor:Johannes Mario Simmel [Simmel, Johannes Mario]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783426419144
Herausgeber: Knaur e-books
veröffentlicht: 2012-10-09T16:00:00+00:00

Am nächsten Nachmittag kam Hernin schon vor halb sechs und trug die Zeitungsausschnitte unter der Jacke. Ich trat etwas später in Cat’s Corner, und da lagen sie in meiner Aktentasche. Unter dem Hemd nahm ich sie aufs Klo mit. Es waren Seiten aus LE MATIN, LE MONDE, dem FIGARO, dem QUOTIDIEN und dem Massenblatt FRANCE-SOIR. Hernin hatte zahlreiche Blätter herausgerissen, denn die Meldungen waren alle groß aufgemacht. Es gab auch Fotos von dem Ort, an dem man die Leiche gefunden hatte, und eines von Balmoral, wie er tot im Bach lag, und einmal nur sein Gesicht – ein Paßbild. Die Radfahrer, die den Toten und den über die Böschung gestürzten Wagen gefunden hatten, erzählten ihre Geschichten. Es waren zwei Mädchen und ein Mann, natürlich wurden ihre Namen genannt, und auch von ihnen gab es Fotos. Dann entdeckte ich ein Bild des Restaurants La Rotonde, und ein Pfeil wies auf den Tisch, an dem Balmoral und ich gesessen hatten. Von den beiden Kellnern, die uns dort bedienten, gab jeder eine völlig andere Personenbeschreibung von mir, wie das häufig zu sein pflegt. Ich hatte es als Anwalt oft erlebt. Der eine Kellner schilderte mich als untersetzten, etwa sechzig Jahre alten Mann, klein, mit dichtem, langem schwarzem Haar, rundem Gesicht und schmalen Lippen. Der andere erklärte, ich sei von normaler Größe gewesen, mit schütterem grauem Haar, vielleicht Anfang der Vierzig und mit schmalem Kopf. Ich hatte erfahren, wie oft die Polizei durch solche Angaben in die Irre geführt worden war. Die zwei Phantombilder, die nach den Angaben der Kellner hergestellt wurden, zeigten zwei vollkommen verschiedene Gesichter. Die Kellner sagten, ich hätte Französisch wie ein Pariser gesprochen und sei ganz gewiß aus Paris – genau wie Balmoral. Von meiner Brille sagten sie nichts, die hatte ich abgenommen. Hier drohte also keine Gefahr.

Ausführlich beschäftigte die Blätter Maître Pierre Leroy, der Mann, bei dem Balmoral diesen Brief abgegeben hatte mit der Aufforderung, ihn zu öffnen, falls ihm plötzlich etwas zustieß. Auch von Maître Leroy, einem feisten, älteren Herrn, gab es ein Foto ebenso wie von dem Boten, der den Brief in den Bois gebracht hatte. Der Bote sagte, er habe mich überhaupt nicht gesehen, was ja auch stimmte. Leroy sagte, den Brief habe Balmoral ihm am 15. September gegeben, mehr wisse er nicht, außer der Tatsache, daß Balmoral ihn am Vormittag des 22. September angerufen und gebeten habe, den Brief in den Bois de Boulogne zu schicken, zum Restaurant La Rotonde. Balmoral schien, der Stimme nach zu urteilen, in Eile gewesen zu sein, aber er wirkte überhaupt nicht ängstlich. Leroy sagte, er habe zur Sicherheit die Nummer des Anschlusses verlangt, von dem aus Balmoral gesprochen habe, und er habe zurückgerufen, und Balmoral sei tatsächlich am Apparat gewesen.

Aus dem Brief machten alle Zeitungen natürlich das große Rätsel, und alle tippten ganz richtig auf einen Rückversicherungsbrief, aber niemand hatte die geringste Ahnung, wer in dem Schreiben belastet wurde. Der Unbekannte? Aber warum rief Balmoral seinen Brief dann ab? Er mußte sich vollkommen sicher gefühlt haben, meinten die Reporter,

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