Besuch auf Godenholm by Ernst Jünger

Besuch auf Godenholm by Ernst Jünger

Autor:Ernst Jünger [Jünger, Ernst]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Erzählung
Herausgeber: Klostermann
veröffentlicht: 1951-12-31T23:00:00+00:00


8.

Schwarzenberg hielt immer noch den Blick auf Moltner gerichtet, der ein Bild der Zerstörung bot. Die Physiognomie war ausgelöscht, war abgeworfen wie eine Maske; die Muskeln arbeiteten unter Preßwehen. Es war merkwürdig, welche Brutalität auf dem so feinen und klugen Gesicht zutage trat. Das Felsreich durchbrach den Humus, Magma die Weinberge. Zugleich zog immer deutlicher ein Lächeln in Schwarzenbergs Zügen auf. Es war wie eine Lampe, deren Leuchten, langsam an Kraft gewinnend, sich dem Unerträglichen zu nähern schien.

Sie hatten den Eindruck, daß unmeßbare, daß endlose Zeit verflossen war. Dem widersprachen die Geräusche, denn immer noch wurde die Tenne gefegt. Es konnte nur eine kurze Spanne verstrichen sein, während deren sie einige Takte Musik, die Rufe eines Graugansschwarmes, das Bellen eines Hundes gehört hatten. Es war nur eine Pause im Gespräch entstanden, und Schwarzenberg knüpfte, diesmal fragend, an seine letzte Bemerkung an.

„Nicht wahr, Sie wissen doch mehr?“

Alle fühlten sich mitgetroffen, obwohl die Frage an Moltner gerichtet war. Sie traf ihn wie ein Stoß mit einer Waffe, deren Existenz ihm unbekannt gewesen war. Das war nur dem Schock vergleichbar, der einem zugleich gewalttätigen und obszönen Angriff folgt, ging aber tiefer, denn es war ihm, als ob nicht nur Kleider, sondern auch Stücke der Haut heruntergerissen würden, der Oberfläche, die er unablösbar, untrennbar mit sich verbunden hielt.

„Wie gut, daß ich zuvor die Monate hier verbracht habe“ fuhr es ihm lindernd durch den Sinn. „Ohne das — — —“

Er wagte nicht mehr, den Meister anzusehen. Er war erschöpft, zerrissen und blieb nun auf der Strecke, der Leere ausgeliefert nach einer Begegnung, die er herausgefordert hatte, aber der er nicht gewachsen gewesen war. Er lag mit hängenden Armen, als ob er mit einer Angel gefangen wäre, im Gestühl.

Das Scharren und Klopfen draußen bekam nun etwas unendlich Trauriges. Auch Ulma und Einar hörten diesen Sinn heraus. Ulma wähnte, daß sie in einer Marmorgrotte weilte, tief unter dem Fruchtgrund, in weiten Hallen, in denen Klagen murmelten. In langen Pausen fielen Tropfen in unsichtbare Becken und weckten einen Widerhall von großer Reinheit, ein Echo im Bergkristall. Hier war das Reich der Tränen; nie würde sie aus dieser Welt der Trauer aufsteigen.

Die Kälte im Raum nahm zu, und mit ihr die Wahrnehmung der leeren Entfernung, der Ausgestorbenheit des Weltalls, in die der eigene Tod, das eigene Gestorbensein mit einbegriffen war. Sie hatten Scheu, sich anzublicken, denn schon waren Verwesungszeichen auf den Gesichtern nicht mehr zu verheimlichen. Wie gerne hätten sie vertuscht, durch Worte übertönt, durch Fratzenwerk maskiert, was sich jetzt ankündete.

Nun wurde auch ganz deutlich, was da draußen im Gange war. Sie hörten den Gräber, der an der Grube scharrte, sie hörten die Träger den Schragen absetzen. Sie konnten es nicht mehr verbergen und nicht mehr abstreiten. Es nahte, was man immer flieht, auch an den Liebsten flieht, in engster, vertrauter Nachbarschaft. Das war das große, das schmähliche Geheimnis dieser Erde, das furchtbar Anrüchige. Sie sahen kommen, was Zahllose wußten und verbargen in ihren Kammern, in denen die Finsternis mit jedem Augenblicke wächst. Das war der Stachel im Fleische, und auf diese eine führten sich alle anderen Arten der Scham zurück.



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