Aussicht auf bleibende Helle by Renate Feyl
Autor:Renate Feyl [Feyl, Renate]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 978-3-462-30945-4
Herausgeber: Kiepenheuer & Witsch Verlag
veröffentlicht: 2015-05-10T16:00:00+00:00
Aufgeregt berichtete Fräulein von Pöllnitz, was man sich drüben im Stadtschloß erzählte. Sophie Charlotte probte gerade am Cembalo ihren Part für die Oper Polifemo, wollte wie immer, wenn sie an ihrem Instrument saß, nicht gestört werden, doch ihre erste und liebste Hofdame hielt sich diesmal nicht zurück und unterbrach Ihre Majestät in der Arbeit. Die Gerüchte, die über die Königin und Leibniz kursierten, fand sie so empörend, daß sie ihr keine Ruhe ließen. Angeblich war er der große Favorit, ihr Maître de plaisir, der torkelnd im Morgengrauen das Schloß verließ. Von wegen Lietzenburg! Lustenburg nannten es die Lästerzungen und meinten, es sei himmelweit davon entfernt, ein Asyl der Tugend zu sein! Andere wollten gehört haben, daß die Königin mit ihm in ihrem Schlafzimmer auf dem Prunkbett lag, um sich von ihm die neuen Deckengemälde erklären zu lassen. Einige bedauerten sie auch, denn sie hätten ihr gerne einen jüngeren Liebhaber gewünscht und nicht so einen ausgezehrten Philosophen.
Nun mußte Sophie Charlotte ihr Spiel doch unterbrechen. Schon lange hatte sie der Hofklatsch nicht mehr so amüsiert. Molière hätte keinen besseren Komödienstoff erfinden können! »Wenn die Menschen für den Rest der Dinge nur halb soviel Einbildungskraft besäßen, ginge es mit dem Fortschritt weit besser voran«, sagte sie vergnügt, aber ihre Herzenspöllnitz war besorgt über diese Flüsterfront, die sich gegen Ihre Majestät auftat und gegen die nicht anzukommen war. »Das ist das Werk der Wartenberg!« entgegnete sie. »Die ist doch nur darauf aus, daß sich Ihr Verhältnis zum König trübt, damit ihr Ehemann noch mehr Einfluß auf ihn gewinnt und sie sich allerorts als die Regierende Gräfin aufspielen kann. Außerdem entspricht das ganz der schlichten Denkungsart der Dame: Ein Mann ist für sie ein Liebhaber oder nichts. Dafür hat sie ein Bettgespür. Andere Wahrnehmungsarten sind der Gräfin doch fremd!«
Sophie Charlotte versuchte ihre chère Pöllnitz zu beruhigen. Was dieses elende Gerede anging, so waren sie sich beide doch schon seit langem einig, daß dieses aufgeblasene Krötengeheck drüben im Stadtschloß an zwei furchtbaren Übeln litt: an Dummheit und Langeweile. Tödliche Krankheiten, die Nachsicht verdienten. Sie begriff ihre Aufregung nicht. Sophie Charlotte war sich nicht sicher, ob wirklich die angestrichene Isabella dahintersteckte. Sie glaubte vielmehr, daß die Gerüchte von denen in Umlauf gesetzt wurden, die daran interessiert waren, ihr ein Lotterleben zu unterstellen: eine Dämonin der Nacht, sündig bis in die Haarwurzeln, respektlos gegen den lieben Herrgott, ungläubig und atheistisch. Was sonst? Im Kopf natürlich nichts als einen esprit pervers. Um so leichter konnten sie dann gegen ihre Opernliebe zu Felde ziehen, wie es jüngst erst wieder Spener tat, der von der Kanzel herab predigte, daß die Oper das Obszöne war, nichts als Augenlust und Sinnentaumel, der aufs Sträflichste Sitte und Geschmack der braven Zeitgenossen verdarb. Sophie Charlotte war klar, woher der Wind wehte. Doch sie ließ sich von den Pietisten, diesen Kopfhängern, nicht einschüchtern. Sie war kein Lamm Gottes, das beim kleinsten Gegenwind erschreckte. Selbstverständlich wurde die neue Oper in Kürze in Lietzenburg aufgeführt. Ariosti hatte in seinem Libretto die Metamorphosen des Ovid bearbeitet. Sie war gespannt, was Spener dagegen sagen wollte.
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