Ausflug mit Urne by Lipasti Roope

Ausflug mit Urne by Lipasti Roope

Autor:Lipasti, Roope [Lipasti, Roope]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Blessing Verlag
veröffentlicht: 2015-05-29T16:00:00+00:00


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Das Staatshotel von Imatra ist die finnische Version eines Dornröschenschlosses. Zwar hat es nur einen einzigen Turm, sonst aber sieht es aus wie der Sommersitz eines mitteleuropäischen Grafen. Umso merkwürdiger der Name, der weniger an schönen Jugendstil als vielmehr an eine vom Staat geführte Kolchose erinnert. Aber das Gebäude ist großartig; wenn man es zum ersten Mal sieht, möchte man am liebsten laut jubeln. Kein Wunder, dass das Hotel schon seit mehr als hundert Jahren bei den St. Petersburgern hoch im Kurs steht und dass während des Krieges auch das Offizierskorps der Armee auf die Idee kam, dass sich von dort aus wunderbar das Geschehen lenken ließe. Heutzutage gehört es zu einer Kette, was Reisesnobs nicht gefällt, mir hingegen gefällt es. Kettenhotels sind immer sichere Orte: Man weiß, was einen erwartet. Nie etwas Außergewöhnliches, aber auch keine Enttäuschungen. Für einen Menschen mittleren Alters ist es wichtig, bei der Übernachtung Enttäuschungen zu vermeiden. Und die kommen leicht zustande, weil das eigene Bett und das eigene Zuhause schwer zu übertreffen sind. So traten wir denn zuversichtlich durch die schön geschwungene Tür ein.

Die Nachlassaufstellung war für den kommenden Tag angesetzt, sodass wir ruhigen Gewissens den Abend freimachen konnten. Nach all meinen Erlebnissen sehnte ich mich nach der Sauna. Ein ordentliches Schwitzbad würde die Falten der Unglückstour wieder glätten. Das Stechen und Brennen würde aufhören oder zumindest vorübergehend nachlassen. Im Hotel gab es eine Sauna und sogar ein kleines Schwimmbecken, das sie großartig »Schwimmbad« nannten. Ich erzählte Janne von meinen Plänen, und er akzeptierte sie. Auch er hatte Lust auf die Sauna.

Verwandtschaftsbeziehungen sind doch merkwürdig: Man kann dauerhaft streiten, den Streit aber auch jederzeit unterbrechen, das Problem beiseiteschieben, sich auf etwas anderes konzentrieren und dann wieder im passenden Moment dort weitermachen, wo man stehen geblieben war. Verwandte sind Teil von uns. Janne und ich waren füreinander so etwas wie ein überzähliges Glied am eigenen Körper, eines, das einfach nur existierte und mehr oder weniger im Weg war. Aber andererseits war dieses Glied, die dritte Hand, auch manchmal nützlich, wenn man etwas tragen musste, und sei es das Leben.

Ich beschloss also, bei nächster Gelegenheit auf die Sache mit dem Flachmann zurückzukommen.

Die Sauna war nicht besonders gut, sie war zu hell, und der letzte Aufguss war lange her gewesen, aber es war warm drinnen. Ich duschte zunächst lange und versuchte vorsichtig, die Kopfwunde zu reinigen. Das Wasser zu meinen Füßen färbte sich vorübergehend blassrot, ehe es im Abfluss verschwand. Die Wunde hatte sich geschlossen, es handelte sich nur um getrocknetes Blut aus meinen Haaren. An den Beinen hatte ich blaue Flecke, die Hand war verschorft. Mein Fingerstumpf wirkte in dieser Umgebung fast normal.

Ich ließ meinen Körper vom warmen Wasser liebkosen. Ein Blick auf das kleine Schwimmbassin sagte mir, dass das Wasser darin vermutlich sehr kalt wäre. Die Einschätzung beruhte auf jahrzehntelanger Erfahrung. Das Wasser in Schwimmbecken war immer kalt, weil die Leute aus irgendeinem Grund gerade dort sparen wollten.

Janne sprang ins Wasser, ohne die Temperatur überhaupt zu prüfen. Er schwamm die paar Meter bis ans Ende und wieder zurück.



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