Asphaltengel by Holmström Johanna

Asphaltengel by Holmström Johanna

Autor:Holmström, Johanna [Holmström, Johanna]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin
veröffentlicht: 2014-11-11T23:00:00+00:00


Oktober 2007

Leila

Kapitel 22

Tango mit Anna

Anna steht in der Pause immer möglichst nahe bei der Tür, damit sie als Erste reingehen kann, und sie betrachtet die Schüler und Gruppen, die genauso eng zusammengeschnürt sind wie ihre Schuhe.

Der Schulhof ist voller Stimmen. Sie segeln vorbei wie Radiowellen, aber es will ihr nicht gelingen, auch nur eine einzige richtige Frequenz einzustellen. Wenn einer von den Lehrern vorbeigeht, dreht sie sich weg, sie will keinem Blick begegnen, aber in den Pausen schauen ohnehin auch die Lehrer mit seltsam glasigen Augen an ihr vorbei.

In den Pausen verschwindet sie. Mädchen aus ihrer Klasse in bunten Cliquen. Sie streifen so nah an ihr vorbei, dass sie sich an die Wand drücken muss. So nah, dass sie den Duft ihrer Deos riechen kann, den weichen Flaum auf den glatten, sonnenverbrannten Wangen sehen kann. Manchmal schubst sie jemand, ohne eine Miene zu verziehen. Sie sehen es. Sie entscheiden selbst, was sie sehen. Und entscheiden, dass sie es nicht sehen.

Ich stehe in einiger Entfernung und beobachte sie. Ich habe die Hände in den Taschen, die Kapuze über den Kopf gezogen und meine Schultasche auf dem Rücken.

Anna kickt gegen kleine Steinchen und blickt auf den Boden. Sie hat beschlossen, auf der Weihnachtsfeier zu singen, weil sie dann in den Pausen drinnenbleiben kann. Drinnen mit Linda Lindqvist zwar, aber alles ist besser als die Einsamkeit der Pausen. Ich fange Annas Blick auf. Zwei Einsame. Wir könnten. Aber Anna will nicht. Sie schaut weg.

Die Jungs drehen ihre Runden. Sie kommen von der inoffiziellen Raucherecke hinter dem Pumpwerk. Der Tabakgeruch wird stärker, als sie näher kommen, und sie halten direkt auf Anna zu. Sie umringen sie, und sie bleibt einfach stehen, denn sie weiß, dass es sinnlos wäre, zu schreien oder wegzurennen.

Ihre Jeans ist viel zu kurz, und sie hat versucht, die Säume unten aufzutrennen und herauszulassen, damit die Hosenbeine etwas länger werden, aber was hilft das schon, wenn sie sie bis zum Bauchnabel hochziehen muss, damit sie ihr nicht von ihrem spindeldürren Körper rutscht? Sie trägt eine Brille, und ihre Brust unter den viel zu großen karierten Hemden ist flach. Jetzt kommen die Jungs. Sie drehen die Knie beim Gehen nach außen, tragen riesige Schuhe mit offenen Schnürsenkeln und haben immer ein Grinsen auf den Lippen. Anna tritt auf der Stelle und umklammert die Schulterriemen ihres Rucksacks so fest, dass ihre Knöchel ganz rot werden. Weiß sie denn wirklich nicht, dass man eine Guess-Tasche haben muss? Miu Miu oder Vuitton gehen auch noch. Aber nicht dieser abgetragene gebrauchte Rucksack, den Anna da hat, die absolute Scheißtasche, und sie reißen sie ihr aus der Hand, dass sie nach hinten geschleudert wird. Micke rennt mit schrillem Gelächter mit der Tasche im Halbkreis, während Kriba sich Anna greift. Papierflocken rieseln auf Anna herab, die Reste karierter Hefte und Notizbücher und Hausaufgaben. Ihr Gesicht ist heiß, aber reglos, ihr Blick hinter den Brillengläsern starr.

Während Kriba weiter Annas Rucksack ausleert, packt Micke sie und dreht sie mit dem Gesicht zu sich. Sie schaut ihm direkt in die hellblauen Augen.



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