Aquamarin (German Edition) by Andreas Eschbach

Aquamarin (German Edition) by Andreas Eschbach

Autor:Andreas Eschbach [Eschbach, Andreas]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Arena Verlag
veröffentlicht: 2015-05-31T22:00:00+00:00


14

Ich starre die Erscheinung an, fassungslos. Ein Mensch. Ein Mann, vielleicht zwanzig Jahre alt, muskulös, mit schulterlangen, wallenden Haaren und auffallend bleicher Haut schwebt da vor mir in der konturlosen blauen Leere des Pazifik und macht die Handzeichen der Taubstummensprache. Unbeholfen, weil er in der Rechten seinen Speer hält oder was immer das ist, eine Waffe jedenfalls, bleich auch sie, wie aus einem großen Knochen geschnitzt.

Und er hat tatsächlich die gleichen Schlitze im Brustkorb wie ich, die gleichen Kiemen. Ich beobachte benommen, wie sie sich im Rhythmus seines Atems bewegen, sanft, flatternd. Es ist eine Sache, das bei sich selbst zu sehen, aber eine ganz andere, es bei jemand anderem zu entdecken.

Genau wie ich ist er nicht völlig nackt, sondern trägt eine Art Lendenschurz, aus einem Material, das ich nicht identifizieren kann. Gehalten wird er von einem Gürtel, an dem mehrere kleine und große Beutel hängen.

Und er hat Schwimmhäute zwischen den Fingern. Sie beginnen kurz nach dem obersten Glied, spannen sich in einem weichen Bogen zu den benachbarten Fingern, flattern leicht, wenn die Finger zusammengelegt werden.

Mein Herz pocht wild. Ich weiß nicht, ob es noch die Angst vor dem Hai oder die Aufregung ist, in die mich diese unerwartete Begegnung versetzt.

Danke, signalisiere ich, als das Zittern in meinen Armen nachgelassen hat. Du hast mich gerettet.

Er lächelt breit. Kraft strahlt von ihm aus, Kraft und unbändiges Selbstbewusstsein. Der Hai war hungrig. Aber er hatte auch Angst. Ich habe ihm auf die Nase geboxt, dann ist er abgehauen.

Verstehe, gebe ich zurück.

Mit anderen Worten, der Hai kann auch wieder zurückkommen.

Wie heißt du?, will der Unterwassermann wissen.

Saha, buchstabiere ich.

Er mustert mich nur verwundert. Mit den Buchstabenzeichen scheint er nichts anfangen zu können.

Und wer bist du?, frage ich.

Ich? Ich bin Schwimmt-schnell, erklärt er stolz. Er umkreist mich einmal, als wolle er mir zeigen, was damit gemeint ist und dass er wirklich schnell schwimmt. Oder vielleicht, weil er mich von allen Seiten begutachten will. Wo ist dein Zusammen?, fragt er.

Ich wiederhole das Handzeichen. Zusammen? Hat das Zeichen eine zweite Bedeutung? Wenn ja, dann kenne ich sie nicht.

Er streckt die Hand aus und berührt meine Wange. Anschließend fragt er: Woher kommst du? Ich habe dich hier noch nie gesehen.

Ein plötzliches Zittern durchläuft mich. Was tue ich hier? Auf einmal habe ich das Gefühl, das alles nur zu träumen. Bestimmt wache ich gleich auf und liege zu Hause in meinem Bett.

Ich lebe in Seahaven, erkläre ich, und weil er offenbar mit Buchstaben nichts anfangen kann, füge ich hinzu: In der Stadt über dem Wasser. Ich zeige in die Richtung, in der ich Seahaven vermute.

Seine Reaktion überrascht mich. Er zuckt regelrecht zusammen und reißt die Augen auf, als hätte ich etwas ganz und gar Entsetzliches gesagt. Ehe ich reagieren kann, hat er schon meine Hand gepackt und betrachtet sie aus der Nähe.

Als seine Finger an den Seiten der meinen entlangstreichen, ahne ich, was er vor allem sieht: dass ich keine Schwimmhäute habe.

Ich wedle mit der freien Hand, um die Sache zu erklären, aber er gibt mir keine Gelegenheit dazu. Er lässt mich los, wirft sich herum und schwimmt davon, als sei der Leibhaftige hinter ihm her.



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