Anderswelt by Grit Poppe

Anderswelt by Grit Poppe

Autor:Grit Poppe
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Dressler Verlag, Hamburg
veröffentlicht: 2012-07-23T04:00:00+00:00


23Ich spürte, dass mein Mund trocken wurde vor Angst. Ich wollte meinen Großvater noch einmal fragen, was hier vor sich ging. Aber meine Zunge fühlte sich an wie ein vertrocknetes Blatt.

Elias blickte sich nach allen Seiten um, dann zog er mich mit sich. Wir steuerten auf eine Nische in der Felswand zu, als plötzlich etwas durch die Büsche brach.

Das Wesen hatte ein Schildkrötengesicht und auf seinem Papageienschnabel wuchs ein Horn. Ruckartig drehte es den Hals. Seine großen starren Augen schienen nach etwas Ausschau zu halten. Nach einer Beute?

»Nur ein Oviraptor«, flüsterte mein Großvater erleichtert. Er ließ mich los, und ehe ich mich versah, stellte er sich dem Tier in den Weg. Erst jetzt bemerkte ich, dass der Saurier ein Ei bei sich trug. Obwohl er Krallen an seinen Vorderläufen hatte, hielt er es geschickt, und man sah ihm an, dass er ein Profidieb war.

Elias stieß ein lautes Gebrüll aus, das dem grollenden Getöse des Tyrannosauriers verblüffend ähnelte, und der Oviraptor ließ seine Beute erschrocken fallen und rannte auf seinen zwei langen kräftigen Beinen ins Gebüsch. Mein Großvater lief ihm ein Stück nach und ich hob das Ei auf. Ohne darüber nachzudenken, was ich tat, schaukelte ich es wie ein Baby. Es ähnelte einem Straußenei, nur war es länger und schmaler und hatte braune Flecken auf der Schale.

Auf einmal hörte ich ein Schnaufen und dann den Trompetenton, den ich schon kannte. Der Saurier mit der roten Röhre auf dem Kopf galoppierte auf mich zu. Er stellte sich auf die Hinterbeine und ich machte mich darauf gefasst, dass er mich wieder umwerfen würde. Doch er nahm mir nur vorsichtig das Ei aus den Händen. Er schnupperte daran, drehte und wendete es, und schließlich schnaubte er zufrieden und watschelte davon wie eine Riesenente.

»Sie sind intelligent«, stellte ich überrascht fest.

Elias nickte mir beiläufig zu. Sein Gesicht hatte jetzt wieder eine normale Farbe. Nur auf seiner Stirn sah man noch eine Spur von Schweiß.

»Vielleicht ist es besser, wenn du jetzt gehst«, sagte er unvermittelt. »Und vielleicht ist es besser, wenn du nicht wiederkommst.«

Ich schluckte. Ich sollte gehen? Jetzt schon? »Besser für wen?« Ich gab mir Mühe, nicht gekränkt zu klingen, aber ich hörte den Ärger in meiner Stimme selbst.

»Besser für dich. Für mich. Für alle. Für die Familie, meine ich.« Er wich meinem Blick aus und streckte Piet seinen Arm entgegen, damit das fliegende Reptil auf ihm landen konnte.

»Aber … Aber wieso? Opa, ich will hier noch nicht weg! Wieso schickst du mich zurück?«

»Glaub mir, mein Junge, es ist zu gefährlich. Vorhin hätte auch ein anderes Tier aus dem Busch brechen können.« Seine Stimme klang wieder heiser und erstickt. Er hustete.

»Was für ein Tier?«, fragte ich.

Mein Großvater hustete erneut. Seine Narbe trat jetzt deutlich sichtbar hervor.

»Was für ein Tier?«, wiederholte ich hartnäckig.

Elias hob die Hände, als müsste er sich ergeben oder sich gegen etwas wehren, das größer war als er.

»Ich verspreche dir, ich passe schon auf mich auf«, sagte ich. »Immerhin habe ich den Weg in die Anderswelt gefunden und ich habe dich gefunden. Was soll ich jetzt zu Hause?«

Mein Großvater hatte aufgehört zu husten.



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