Amsterdam blutrot by Lena Avanzini

Amsterdam blutrot by Lena Avanzini

Autor:Lena Avanzini [Avanzini, Lena]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783863588526
Herausgeber: Emons Verlag
veröffentlicht: 2015-07-19T16:00:00+00:00


17

»Irgendetwas ist anders«, sagte er zu seinem Gegenüber, einer grünen Plastikhaube. Die Plastikhaube drehte sich, wurde zum Gesicht des alten Verhagen. Professor Dr. S. Verhagen, wobei niemand wusste, wofür das S stehen mochte, vermutlich war es überflüssig, denn zum alten Verhagen passte kein Vorname. »Aber ich komme nicht drauf.« Bontekoe rieb sich den Schlaf aus den Augen und sah den Professor hilfesuchend an.

Verhagen grinste hinterhältig. »Ich vermute, du meinst nicht die Nummer auf ihrem Handrücken, Bontekoe. Oder dass der Tatort diesmal außerhalb von Amsterdam liegt.«

»Natürlich nicht!«, blaffte der Hoofdinspecteur. Der arrogante alte Rechtsmediziner schaffte es immer wieder, ihn auf die Palme zu bringen, mit seinem penetranten Du und dieser flapsigen Art. »Es ist … los, jetzt helfen Sie mir schon, Verhagen.« Er starrte ins Gesicht der Toten. Die Augen, vor Entsetzen geweitet, die Lippen blutig gebissen, vermutlich vor Schmerz, der Mund wie zu einem stummen Schrei geöffnet. Er schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. »Nein, sagen Sie nichts, ich hab’s!« Er klatschte in die Hände. »Das Lächeln. Es fehlt.«

Verhagen hob anerkennend die Brauen. »Bravo, Bontekoe. Für einen Bullen bist du gar nicht schlecht. Aber …« Verschwörerisch senkte er die Stimme. »… weißt du auch, warum?«

Bontekoe grübelte. Er konnte nur raten. »Die ersten drei Opfer wurden während des Geschlechtsverkehrs getötet, also vermutlich gleich nach dem Höhepunkt.« Er ärgerte sich, dass er »Geschlechtsverkehr« und »Höhepunkt« nicht aussprechen konnte, ohne heiße Wangen zu bekommen. Bestimmt war sein Gesicht rot wie ein Radieschen. Bist du wirklich so prüde?, fragte er sich und tat, als betrachte er die Kristallvase mit den Freesien, die einen seltsam bunten und fröhlichen Kontrapunkt zu der grausigen Szenerie bildeten.

»Richtig«, sagte Verhagen. »Zuerst das Vergnügen, dann Schnitt durch die Kehle und aus. In einem Moment des Glücks und der absoluten Entspannung. Die hatten nicht mal Zeit, Angst zu haben. Die Peitschenhiebe, Stiche und Schnitte und das Abschneiden der Mamillen haben sie nicht mehr gespürt. Fast könnte man versucht sein, das für einen schönen Tod zu halten.«

Bontekoe antwortete nicht. Für ihn war ein Tod niemals schön, sondern immer eine Niederlage.

»Und was schließt du daraus?«

»Dass das vierte Opfer zu früh getötet wurde, also quasi bevor sie …« Bontekoe wand sich, aber Verhagen ließ ihn zappeln. »Bevor sie – äh – zum Orgasmus gekommen ist.«

»Blödsinn«, knurrte der Rechtsmediziner und räumte sein Instrumentarium in einen abgewetzten Lederkoffer. »Ganz falsch.« Er wandte sich zum Gehen.

»Halt! Warten Sie. Was ist dann der Grund?«

»Meinen Bericht hast du bis heute Nachmittag auf dem Tisch.« Verhagen überschritt die Schwelle.

Bontekoe war außer sich vor Wut. Er packte den alten Mann am Ärmel und hielt ihn zurück. »Sie altes Scheusal können jetzt nicht einfach gehen. Sie werden mir sofort sagen, was Sie wissen, oder ich verklage Sie wegen Behinderung der Ermittlungen.« Erschrocken über seinen Vorstoß, fügte er leiser hinzu: »Ich habe eine Mordserie aufzuklären.«

Verhagen lachte, zumindest hatte er Humor, wenn auch eine bizarre Unterart davon. »Zu spät«, sagte er. Und als Bontekoe seinen Ärmel immer noch nicht freigab, weil er nichts begriff, fügte Verhagen hinzu: »Sie ist zu spät ermordet worden.



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