Amnion 4: Chaos und Ordnung by Donaldson Stephen R
Autor:Donaldson, Stephen R. [Donaldson, Stephen R.]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2012-08-19T13:45:38+00:00
MORN
Angus’ Aufschrei wirkte auf Morn wie ein Hieb mit dem Stunnerknüppel. Die Furcht schien ihre Muskeln in Pudding verwandelt zu haben, das Mark ihr aus den Knochen zu sickern. Was? wollte sie fragen.
Was?
Wovon redest du?
Aber sie brachte kein Wort über die Lippen. Für Worte hätte sie Kraft gebraucht – alles, was sie hätte sagen können, jede Art der Entgegnung, wäre für sie ein Kraftakt gewesen –, und ihr war durch Angus’ Aufschreien alle Kraft verscheucht worden. Vor dem Triumph oder der Pein in Angus’ Stimme, einem Ausfluß inwendiger Zerrissenheit, stand sie völlig ratlos da.
Ich bin nicht dein Sohn.
Fassungslos blickte sie Davies an.
Auch er war beträchtlich schockiert worden. Er entsann sich so gut wie sie Angus’. Und seine Fähigkeit, sich von Morn zu unterscheiden, war unterentwickelt: Bisher hatte er nur ein paar Tage gehabt, um als selbständiger Mensch einen eigenen Lebensweg zu gehen. Irgend etwas ging in ihm vor, er versuchte die Verstörung zu überwinden – eine Abwehr- oder Trotzhaltung einzunehmen, sich auf Unversöhnlichkeit zurückzuziehen, auf Gewalt zurückzugreifen. Morn konnte seinem Mienenspiel das Ausmaß des inneren Ringens ansehen. Dennoch blieb er im ersten Moment so handlungsunfähig wie Morn; gebannt und gelähmt durch die schiere, absonderliche Gräßlichkeit von Angus’ Geschrei.
Ich bin NICHT dein verdammter Scheißsohn! Und dann war Angus in ein Husten verfallen, als wären seine Lungen zerfetzt worden…
Und nun hörte er auf zu husten: zwischen zwei Herzschlägen endete sein Keuchen. Die Beschwerden hatten ihm Tränen in die Augen getrieben, die ihm die Wangen verschmierten, aber er beachtete sie nicht. Vielleicht wußte er nichts von ihnen. Er wirkte so entgeistert wie Davies, geradeso benommen wie Morn.
Ganz langsam, als hätte auch er nur noch Brei in den Gliedmaßen, drehte er sich wieder dem Platz des Ersten Offiziers zu.
Morn erkannte die Ursache der plötzlichen Wandlung. Sein Data-Nukleus hatte ihn rigoroser Kontrolle unterworfen: Emissionen der Z-Implantate hatten das Husten unterdrückt, seine Verzweiflung niedergerungen, das Triumphgefühl weggefegt. Angus war ein unifizierter Cyborg, beherrschte durch Entscheidungen, die andere Menschen, die es nicht scherte, was er empfand oder welche Nöte ihn plagten – die es nur interessierte, wie er benutzt werden konnte –, schon vor Tagen oder Wochen für ihn getroffen hatten. Für einen kurzen Moment waren die künstlich auferlegten Schranken von seinem grauenhaften menschlichen Leidensdruck gesprengt worden. Aber jetzt hatte der unabweisbare Zwang, den der Interncomputer auf die Nervenzentren seines Gehirns ausübte, ihn von neuem an der Kandare.
Wenn er etwas tat, dann weil Warden Dios oder Hashi Lebwohl – oder Nick Succorso als ihr Handlanger – es von ihm verlangten, nicht weil er selbst es wollte.
Sie durchschaute seine Lage aus eigener Erfahrung. Zwar war sie nie unifiziert gewesen. Doch ihr war von Angus die gleiche Art von Zwang aufgenötigt worden; und später hatte sie sich den Wirkungsweisen des Z-Implantats aus eigenem Antrieb unterzogen. Immer wieder hatte sie am eigenen Leib gespürt, wie elektromagnetische Funktionen wahre Berge des Elends und Wehs von ihren Schultern wälzten. Ich bin nicht dein Sohn.
Davies öffnete den Mund: Er beabsichtigte irgendeine feindselige Bemerkung von sich zu geben, wollte Morn schützen, indem er sich selbst als Ziel für Angus’ Schlechtigkeit darbot.
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