001 - Abschied auf Italienisch by Andrea Bonetto

001 - Abschied auf Italienisch by Andrea Bonetto

Autor:Andrea Bonetto [Bonetto, Andrea]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Thriller/Krimi
ISBN: 9783426467169
Herausgeber: Droemer eBook
veröffentlicht: 2023-02-28T23:00:00+00:00


Ohrfeigen

G

rassi saß in seinem Wagen am Rand der Tankstelle. Hier hatte er guten Empfang, war ungestört und wollte sich endlich um Lucy kümmern. Neben dem App-Symbol prangte die kleine rote Zahl siebenundzwanzig. Siebenundzwanzig neue Nachrichten! Er öffnete den Chat geradezu ängstlich und fragte sich, was er alles verpasst hatte. Es waren weiterhin hauptsächlich Sprachnachrichten hin- und hergegangen. Nur Alessandro, der sich sporadisch am Chat beteiligte, hatte geschrieben. Seine Antwort auf Lucys erste Sprachnachricht lautete: »Partypause, sorellina«, gefolgt von einem Heul-Emoji und einem blauen Herz. Obwohl Alessandro der Jüngere war, nannte er Lucy seine »kleine Schwester«, weil er sie um einen Kopf überragte. Der launige kleine Beitrag seines stets zu Scherzen aufgelegten maulfaulen, sensiblen Sohnes ermutigte Grassi, Lucys ersten langen Bericht abzuhören. Sie klang sehr viel gefasster als kurz nach dem Unfall. Ein sehr netter Student aus dem Wohnheim habe sie aus dem dritten Stock bis auf die Straße getragen. »Ich glaube, das hat ihm sogar Spaß gemacht«, sagte Lucy und klang halb empört und halb geschmeichelt. Dass die Taxifahrt »unverschämt teuer« gewesen sei, nahm Lucy gleich zum Anlass, bald »bitte noch mal über finanzielle Unterstützung« sprechen zu wollen, zumal sie ja jetzt wegen des Unfalls für die nächste Zeit nicht mehr kellnern könne.

Grassi atmete erleichtert auf. Wenn seine Tochter das profane Thema Geld anschnitt, musste es ihr deutlich besser gehen. Dann erzählte sie ausführlich, wie sie fast eine Stunde in der Ambulanz hatte warten müssen, wie ein junger indischer Arzt, mit dem sie sich auf Englisch unterhalten konnte, sie untersucht und zum Röntgen geschickt hatte, wo sie noch mal eine Stunde warten musste. So ging es weiter und weiter. Zwischendurch entschuldigte sich Lucy dafür, dass die Nachricht so lang wurde, sie wisse gar nicht, was sie da alles rede, weil sie kaum geschlafen habe. Das Wichtigste hatte sie sich für den Schluss aufgespart: Lucy hatte Glück gehabt. Es war nichts gebrochen, nur geprellt, hatte der indische Arzt festgestellt. »Das kann aber genauso wehtun, hat er gesagt.«

Grassi überlegte kurz, ob er die restlichen vierundzwanzig Nachrichten noch lesen und abhören sollte, und entschied dann, es sich leichter zu machen. Er wählte Chiaras Nummer.

»Pronto?« Ihre Stimme klang sanft und weich. Ich habe sie geweckt, dachte Grassi.

»Hast du schon geschlafen?«

»Ciao, Vito. Nein, mir sind nur bei den Nachrichten die Augen zugefallen. Wie läuft es denn bei dir?«

»Gut. Viel zu tun. Wenn du nicht eingeschlafen wärst, hättest du es vielleicht in den Nachrichten gesehen: Ich habe schon zwei Mordfälle aufzuklären.«

»Madonna! Du Armer.« Er hörte sie gähnen. »Na, du wirst die Mörder schon schnappen. Die haben ja keine Ahnung, mit wem sie sich anlegen.«

Grassi lächelte in sich hinein. Chiara war schon immer gut darin gewesen, ihm Mut für seine Arbeit zu machen, ohne wirklich daran interessiert zu sein. Sie wollte einfach nichts mehr von Mord und Totschlag und der Schlechtigkeit der Welt hören. Leider hatte Grassi seit vielen Jahren kaum etwas anderes von seinen Tagen zu berichten. Und obwohl er wusste, dass ihr Desinteresse an seiner Arbeit nicht gleichzusetzen war mit geringem Interesse an ihm, verletzte es ihn.



Download



Haftungsausschluss:
Diese Site speichert keine Dateien auf ihrem Server. Wir indizieren und verlinken nur                                                  Inhalte von anderen Websites zur Verfügung gestellt. Wenden Sie sich an die Inhaltsanbieter, um etwaige urheberrechtlich geschützte Inhalte zu entfernen, und senden Sie uns eine E-Mail. Wir werden die entsprechenden Links oder Inhalte umgehend entfernen.