Zwischenstopp - Dunkle Geschichten (German Edition) by Jana Oltersdorff

Zwischenstopp - Dunkle Geschichten (German Edition) by Jana Oltersdorff

Autor:Jana Oltersdorff [Oltersdorff, Jana]
Die sprache: deu
Format: epub, azw3, mobi
veröffentlicht: 2014-08-28T16:00:00+00:00


Am An­fang und am Ende

Man kann die Ver­gan­gen­heit nicht än­dern. Die­ser Satz ging Sven Mar­quardt wie­der und wie­der durch den Kopf. Er war auf dem Weg in die Frank­fur­ter Uni­ver­si­tät. Es reg­ne­te in Strö­men, und er schlug den Kra­gen sei­ner Jacke hoch und zog den Kopf ein. Als er die Stu­fen zum Ge­bäu­de des In­s­ti­tuts für An­ge­wand­te Phy­sik her­auf­eil­te, war er bis auf die Haut durch­nässt und durch­ge­fro­ren. Er lief durch das klei­ne Foy­er, stieg die Stu­fen in das ers­te Ober­ge­schoss hin­auf und blieb vor der drit­ten Tür auf der lin­ken Sei­te des spär­lich be­leuch­te­ten Kor­ri­dors ste­hen.

„Pro­fes­sor Dr. Ri­chard Wil­ming“ stand auf dem Schild aus Ple­xi­glas, auf das Sven nun starr­te.

Man kann die Ver­gan­gen­heit nicht än­dern. Pro­fes­sor Wil­ming hat­te ihm die­sen Satz mit auf den Weg ge­ge­ben am Ende ei­nes mehr als merk­wür­di­gen Be­wer­bungs­ge­spräches. Der Satz hat­te Sven hel­fen sol­len bei sei­ner Ent­schei­dung. Der Pro­fes­sor woll­te ihn für den Job. Doch woll­te Sven ihn auch? Er hat­te an­fangs über­haupt nicht ver­stan­den, worum es ei­gent­lich ging. Der Pro­fes­sor brauch­te je­man­den für ein Ex­pe­ri­ment. Er hat­te Sven den Arm um die Schul­ter ge­legt und ihn in sei­nen La­bor­räu­men her­um­ge­führt, während er ihm einen lei­den­schaft­li­chen Vor­trag über die Zeit hielt. Als Höhe­punkt hat­te er ihm eine Vor­rich­tung ge­zeigt, die wie eine Mi­schung aus Fol­ter­bank und Com­pu­ter­to­mo­graph aus­sah und die er al­len Erns­tes als Zeit­ma­schi­ne be­zeich­net hat­te.

Das also war in der An­zei­ge ge­meint ge­we­sen, in der nach „jun­gen, auf­ge­schlos­se­nen Men­schen mit Aben­teu­er­geist und her­vor­ra­gen­dem Ge­dächt­nis“ ge­sucht wor­den war. Ver­schwie­gen­heit und Lust auf Ri­si­ko nicht nur er­wünscht, son­dern vor­aus­ge­setzt. Sven hat­te sich als Pro­band für ein Ex­pe­ri­ment be­wor­ben, bei dem er auf eine Zeit­rei­se ge­schickt wer­den soll­te. Er war nicht dumm. Er muss­te kein Stu­dent der Phy­sik sein, um zu wis­sen, dass ein sol­ches Un­ter­neh­men, selbst wenn es er­folg­reich durch­ge­führt wur­de, ge­fähr­lich war und jede klei­ne Ak­ti­on des Zeit­rei­sen­den in der Ver­gan­gen­heit zu nicht ab­zuschät­zen­den Aus­wir­kun­gen in der Zu­kunft führen konn­te – sei­ner Ge­gen­wart. Doch Pro­fes­sor Wil­ming hat­te sei­ne Be­fürch­tun­gen zer­streut und ihm er­klärt, dass er die­se Zeit­rei­se nicht nur durch­führen konn­te, son­dern da­mit auch kein Pa­ra­do­xon ver­ur­sa­chen wür­de, weil er längst in der Ver­gan­gen­heit ge­we­sen war.

„Ich ken­ne Sie, Sven“, hat­te der Pro­fes­sor ge­sagt. „Sie ha­ben mich be­sucht, und zwar vor ge­nau 21 Jah­ren. Sie ha­ben mir da­mals bei der Lö­sung ei­ni­ger Pro­ble­me in mei­nen Be­rech­nun­gen ge­hol­fen und mir da­mit er­mög­licht, den Grund­s­tein zu mei­ner Er­fin­dung zu le­gen. Seit­dem wuss­te ich, dass ich die­se Ma­schi­ne bau­en wür­de und dass sie funk­tio­niert. Ich wuss­te, dass Sie, Sven, sich auf die­sen Job be­wer­ben wür­den. Und auch wenn Sie jetzt noch nicht si­cher sind – ich bin es. Ich weiß, wie Sie sich ent­schei­den wer­den. Glau­ben Sie mir: Man kann die Ver­gan­gen­heit nicht än­dern. Sie ist be­reits pas­siert. Sie ist wie ein Kreis, der sich stän­dig schließt.“

Der Pro­fes­sor hat­te Recht ge­habt. Hier stand Sven nun. Er re­de­te sich ein, dass ihn nur das statt­li­che Ho­no­rar über­zeugt hat­te, doch das war nicht die Wahr­heit, und er wuss­te es. Seit sei­nem Be­wer­bungs­ge­spräch mit Wil­ming war in ihm die Ge­wiss­heit ge­reift, dass er gar nicht an­ders han­deln konn­te.



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