Zensur by Hannes Hofbauer
Autor:Hannes Hofbauer
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Promedia Verlag
veröffentlicht: 2022-03-09T09:40:40+00:00
Das deutsche Netzwerkdurchsetzungsgesetz
Nach Leugnungsverboten und der Aufstellung einer Task Force zum Aufspüren »falscher Wahrheiten«, beides auf Ebene der Europäischen Union implementiert, wendet sich der chronologisch betrachtet nächste Schritt in die neue Zensurpraxis den groÃen sogenannten sozialen Netzwerken zu. Für Deutschland wurde dafür das sperrige Wort »Netzwerkdurchsetzungsgesetz« erfunden.
Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) steht in der jungen Tradition von Compliance-Regeln im Wirtschaftsleben. Wer ohne Vorwissen diesen mittlerweile auch im Deutschen gebräuchlichen Begriff in die Suchmaschine eingibt, erfährt zuoberst die medizinisch-psychologische Bedeutung von Compliance: »Bereitschaft eines Patienten zur aktiven Mitwirkung an therapeutischen MaÃnahmen«.251 Diese Definition trifft auch unseren Nagel auf den Kopf. Die Idee des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes war es ursprünglich, die global agierenden Kommunikationskonzerne und Datensammler ein wenig an die rechtsstaatliche Leine zu legen. Sie sollten zur Mitwirkung an der Verfolgung krimineller Handlungen verpflichtet werden. Dazu wurde Facebook, YouTube, Twitter, Instagram & Co. die Pflicht zur Durchsicht der von ihnen verbreiteten Inhalte auferlegt. Vergleichsweise hohe Strafen bei Zuwiderhandeln bzw. Fahrlässigkeit untermauerten den staatlichen Willen zur Kontrolle.
Im Visier des NetzDG standen Formen von sogenannter Hasskriminalität â was immer das ist und wer immer es als solche definiert â, Volksverhetzung, Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates, Verunglimpfung staatlicher Symbole oder des Bundespräsidenten, Billigung von Straftaten aller Art und so weiter. Gut ein Dutzend Paragraphen des deutschen Strafgesetzbuches252 wurden zu Leitlinien der Nachverfolgung im Netz. Betroffen sind alle Anbieter, die mehr als zwei Millionen registrierte Nutzer in Deutschland aufweisen. Sie werden mit einer Berichtspflicht über inkriminierte Inhalte sowie deren Löschung innerhalb von 24 Stunden nach der eingehenden Beschwerde belegt.253 Das NetzDG trat mit 1. Oktober 2017 in Kraft und wurde seitdem mehrfach ergänzt.
Der damalige deutsche SPD-Justizminister Heiko Maas stellte sein Gesetzeswerk am liebsten in einer Weise dar, damit das Böse aus dem Internet verdammen zu wollen. Tatsächlich konzentrierte sich das Augenmerk in Windeseile auf die Verfolgung von »Hasskriminalität und strafbare Falschnachrichten«, wie es auf der Homepage des Justizministeriums heiÃt.254 Die interpretative Dehnbarkeit der beiden Begriffe gibt zu denken, denn weder »Hass« noch »Falschnachricht« können mit einer brauchbaren juristischen Definition aufwarten. Sie bieten sich geradezu in idealer Weise als politischer Bauchladen an, aus dem heraus sich â je nach Thema und Themenhoheit â der Staat und/oder der Konzern bedienen kann, sprich: seine Löschung betreiben oder seine juristische Verfolgung starten kann.
»Fake News« sind es denn auch, also Falschnachrichten, die hauptsächlich im Visier des neuen Zensorenregimes stehen, das für konkrete Zuständigkeit kaum fassbar irgendwo zwischen Berliner Justizministerium und US-amerikanischen Konzernzentralen angesiedelt ist. Denn das NetzDG funktioniert bzw. soll nach dem Prinzip der »regulierten Selbstregulierung« funktionieren. Im Klartext: Diejenigen, die in ihrer Macht beschränkt werden sollen, also Facebook, YouTube und Co., werden in die rechtsstaatliche Verantwortung inkludiert; oder, wie es der Chefredakteur von »netzpolitik.org«, Markus Beckedahl, in einem Gastkommentar für die Süddeutsche Zeitung am 28. Juni 2017 auf den Punkt bringt: Das NetzDG »nimmt die Rechtsauslegung über potenziell strafbare Inhalte und die Entscheidung darüber, was offensichtlich strafbar ist, aus der Verantwortung von Gerichten und überträgt sie den Plattformen.«255 Damals, im Vorfeld der Beschlussfassung zum Netzwerkdurchsetzungsgesetz, waren die kritischen Stimmen noch überall zu hören und zu lesen.
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