Wo bist du? by Levy Marc

Wo bist du? by Levy Marc

Autor:Levy, Marc [Levy, Marc]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2014-01-21T05:00:00+00:00


Susan

PS: Vergiss nicht, was ich dir am Flughafen gesagt habe.

Kapitel 6

Der Regen rieselte über die Holzschindeln. Unter der Dachschräge, im Schein von nur einer Lampe, korrigierte er seine letzten Entwürfe. Wie jeden Samstag arbeitete er auf, was während der Woche liegen geblieben war. Er hatte sein Büro im Adirondacks-Stil eingerichtet. Über die ganze rechte Wand zog sich ein Bücherregal. Links luden zwei alte Ledersessel - um einen kleinen runden Tisch aus Birkenholz und eine gusseiserne Stehlampe gruppiert - zum behaglichen Sitzen ein. Sein Schreibtisch, der in der Mitte des Raums unter dem Oberlicht stand, hatte die Form eines großen weißen Kubus. Sechs Personen hatten bequem daran Platz. Von Zeit zu Zeit hob er den Kopf zur Dachluke, deren Fensterscheibe unter den Windstößen vibrierte.

Bevor er sich wieder in seine Zeichnungen vertiefte, warf er einen Blick auf Susans Foto im Regal. Unendlich viel Zeit schien seit dem Tag seiner Hochzeit verstrichen zu sein. Auf dem Tisch stand die kleine alte Schatulle, die all ihre Briefe enthielt. Sie war mit einem Schloss versehen, doch der Schlüssel lag immer auf dem Deckel. Wie viele Jahre hatten sie nichts mehr voneinander gehört? Sieben, acht, neun vielleicht? In der Ecke des Raums führte eine schmale Treppe hinunter in den ersten Stock mit den Schlafzimmern. Die weiße Holztreppe gegenüber der Eingangstür unterteilte das Erdgeschoss in zwei Lebensbereiche. Mary hatte den ganzen Nachmittag am großen Esstisch ihrer Küche verbracht, hatte in einem Magazin geblättert und ihre Gedanken schweifen lassen. Durch die offene Schiebetür sah sie Thomas, ihren fünfjährigen Sohn, der in ein Computerspiel vertieft war. Sie wandte den Blick ab und schaute auf die runde Wanduhr über dem Gasherd. Es war achtzehn Uhr. Sie legte das Magazin beiseite, stand auf und machte sich daran, das Essen zuzubereiten. Philip würde, wie jeden Abend, in einer halben Stunde aus seinem Arbeitszimmer kommen und ihr beim Tischdecken helfen. Nachdem sie ihm zur Begrüßung einen Kuss auf die Wange gedrückt hatte, setzten sich ihre beiden »Männer« an ihre gewohnten Plätze. Thomas war von den dreien der gesprächigste und kommentierte ausgiebig seine letzte Partie gegen die Außerirdischen, die den Planeten einzunehmen drohten.

Nach dem Essen unternahm Philip den x-ten Versuch, seinem Sohn das Schachspielen beizubringen, doch Thomas wollte nicht einsehen, dass sich der Läufer nur diagonal bewegt. Und war nicht das einzig »Lustige«, mit allen Bauern gleichzeitig vorzurücken, um die Türme der Festung anzugreifen? Der Versuch endete mit einer Partie schwarzer Peter. Später, wenn der Kleine im Bett wäre und seine allabendliche Geschichte erzählt bekommen hätte, käme Philip erneut herunter, um seiner Frau eine gute Nacht zu wünschen; er würde noch einmal hinaufgehen. »Ich arbeite lieber jetzt noch ein Stündchen, damit ich den ganzen Sonntag Zeit für euch habe«, würde er argumentieren, und Mary würde lächeln. Er käme »später« zu ihr ins vorgewärmte Bett in ihre zärtlichen Arme.

In der Nacht hatte es irgendwann aufgehört zu regnen, und die feuchten Bürgersteige schimmerten im matten Morgenlicht. Thomas war aufgestanden und hinunter ins Wohnzimmer gegangen. Mary hörte die Stufen knarren. Sie streifte den Bademantel über, den sie am Fußende des Bettes hatte liegen lassen.



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