Unterm Schinder by Föhr Andreas

Unterm Schinder by Föhr Andreas

Autor:Föhr, Andreas [Föhr, Andreas]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00


21

August 2017

Der Tag war heiß, das Gewimmel bunt im Englischen Garten. Hitzerekorde lagen in der Luft, und die Menge ließ sich wie zähe Grütze durch den Park treiben, eine muntere Parade aus braunen Beinen, Flip-Flops und Sonnenbrillen. Am Monopteros entfalteten sich müßiges Leben und Drogenhandel, am Chinesischen Turm floss das Bier ohne Unterlass, und die Brathähnchen rotierten. Der perfekte Sommertag. Für die meisten Münchner jedenfalls. Auch für Jennifer Wächtersbach hatte das sonnige Wetter seine guten Seiten. Obwohl sie weder auf Erholung noch auf Zerstreuung aus war. Sie versuchte zu überleben. Das bisschen Geld, das man ihr im Gefängnis zur Entlassung ausbezahlt hatte, war längst weg. Sie musste neues auftreiben. Und dafür war die Schläfrigkeit, in die die Hitze die Parkbesucher getaucht hatte, sehr von Vorteil.

Jennifer suchte im Schatten einer Kastanie Schutz vor der Sonne. Einen Steinwurf entfernt standen Menschen vor einem Kiosk an, junge Menschen zumeist, denn dieser Teil des Englischen Gartens grenzte an das Universitätsviertel. Jennifer ging ein paar Schritte weiter den Weg in die Parkanlage hinein und kam zu einer Wiese an einem Bach. Hier lagerten Dutzende sonnenhungrige Städter auf Handtüchern in der dumpfen Hitze, die meisten ölgänzend, viele mit Büchern, die sie im Liegen über ihre Gesichter hielten. Selbst im Schatten spürte Jennifer den Hitzestau in ihrem Körper. Die Wangen wurden ihr rot, und Schweiß bildete sich überall, wo Haut auf Haut traf. Jennifer ließ den Blick schweifen. Es zwickte im Magen, denn sie hatte seit gestern Nachmittag nichts mehr gegessen. Nach einigen Minuten des Wartens war es so weit. Eine Frau erhob sich von ihrem Handtuch. Sie mochte Mitte dreißig sein, ihr Körper war trainiert. Sie schlüpfte in ihre Jeans und streifte eine Bluse über ihr Bikinioberteil, ohne sie zuzuknöpfen. Dann steckte sie eine Hand in die Gesäßtasche und förderte etwas zutage, das Jennifer nicht erkennen konnte, denn dafür war sie zu weit entfernt. Es handelte sich vermutlich um Münzgeld. Jennifer kannte die Sorte: Geschäftsfrau mit Sinn fürs Praktische. Immer etwas Kleingeld in der Hose, griffbereit. Damit man nicht ewig in den unendlichen Weiten der Handtasche suchen musste. Nachdem der Hartgeldcheck zu ihrer Zufriedenheit ausgefallen war, machte sich die Frau auf den Weg zum Kiosk. Jennifer blieb, wo sie war, eine halbe Minute später kam die Frau an ihr vorbei, ohne Jennifer zu beachten, und Jennifer setzte sich in Richtung Wiese in Marsch. Nach ein paar Schritten drehte sie sich noch einmal um und sah, dass die Frau dabei war, sich in die Schlange vor dem Kiosk einzureihen. Jennifer beschleunigte ihren Gang und gelangte kurze Zeit später zu dem verwaisten Handtuch der Frau, auf dem eine große Handtasche lag. Sie setzte sich auf das Handtuch und hielt ihr Gesicht in die Sonne. Für die Umliegenden stellte es sich so dar, als sei die Eigentümerin des Handtuchs zurückgekehrt und habe ihren Platz wieder eingenommen. Dass hier vorher eine ganz andere Frau gelegen hatte, würde nach Jennifers Erfahrung niemandem auffallen. Sie ließ ein paar Sekunden verstreichen, dann nahm sie die Handtasche und inspizierte deren Inhalt, der in der Tat erstaunlich vielfältig und unübersichtlich war.



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