Tausendundein Tag by Lind Hera

Tausendundein Tag by Lind Hera

Autor:Lind, Hera
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Diana Verlag
veröffentlicht: 2014-09-15T04:00:00+00:00


1984–1985

Und dann war es so weit! Nach Monaten des Wartens und Hoffens bekam ich die Arbeitsgenehmigung für Bernds Großbaustelle! Ich freute mich unbändig, endlich etwas Sinnvolles tun zu dürfen.

Eine weitere Freude für mich bestand darin, dass eine iranische Familie im Erdgeschoss eingezogen war! Ein Mullah mit Frau und vier Kindern. Das dreizehnjährige Mädchen hatte ich schon im Treppenhaus gesehen. Es war völlig verschüchtert an mir vorbeigehuscht. Ich beschloss, an einem meiner freien Freitage bei meinen neuen Nachbarn anzuklopfen und mich vorzustellen.

Schade eigentlich, dass sie erst jetzt einzogen, wo ich vierzehn Stunden täglich außer Haus war!

Unser Tag war streng durchgetaktet: Um vier Uhr früh gingen wir joggen. Die Luft war herrlich, die Straßen leer. Natürlich war ich von oben bis unten verhüllt und lief in weiten Pumphosen mit Mantel darüber. Der Mullah aus dem Erdgeschoss schlief, denn der Muezzin hatte noch nicht gerufen! Unglaublich, wie viel Tatendrang wir hatten! Fürs Frühstück blieb nach dem Duschen keine Zeit, denn um halb sechs kam der sogenannte Ausländerbus, den ich als einzige Frau nur mit einer Spezialgenehmigung benutzen durfte. Bevor wir aufbrachen, sammelten wir alles Wasser, das unsere goldenen Hähne hergaben, in Schüsseln und Töpfen und ließen die Badewanne volllaufen, denn immer wieder wurde das Wasser abgestellt, und wir wollten ja abends kochen, duschen und unsere Wäsche waschen.

Der Bus war klimatisiert, was in den Sommermonaten ein Segen war. Im Dunkeln rumpelten wir etwa anderthalb Stunden bis zur Baustelle. Von der Umgebung bekam ich folglich nicht viel mit. Die Baustelle lag auf einem wüstenähnlichen Hochplateau. Bernd hatte mich schon darauf vorbereitet, dass man mich durchsuchen würde, ähnlich wie bei meiner Ankunft am Flughafen. Aufgeregt checkte ich noch einmal meine Kleidung: Langer Mantel, Schal, denn mein Hals durfte nicht zu sehen sein, und natürlich ein schwarzes Kopftuch. Meine blonden Haare hatte ich gut versteckt, und außerdem trug ich eine große Sonnenbrille. Unter dem Mantel hatte ich eine lange Pluderhose an, darunter lange schwarze Strümpfe, und das zeltartige Oberteil war ebenfalls schwarz. Unsichtbarer konnte ich mich nun wirklich nicht mehr machen! Bri­gitta hatte mitleidig den Kopf geschüttelt, als ich ihr meine Arbeitsmontur vorführte: »Du bist eine solche Schönheit, siehst Brigitte Bardot gar nicht mal so unähnlich! Wie groß muss deine Liebe zu Bernd sein, dass du dir das antust!«

Ich hatte nur lächelnd genickt. Ja, so groß war meine Liebe zu Bernd.

Auf der Baustelle mussten wir durch ein großes Tor gehen und wurden tatsächlich durchsucht. Man führte mich in einen fensterlosen Nebenraum, und eine Iranerin tastete mich mit undurchdringlicher Miene ab. Sie sah sich meine Hände an und überzeugte sich davon, dass ich keine lackierten Fingernägel hatte. Dann zog sie mir mit einem groben Ruck das Kopftuch tiefer ins Gesicht. Ich versuchte es mit einem freundlichen Gespräch, aber sie antwortete nicht. Wahrscheinlich verstand sie kein Englisch.

Dann durfte ich gehen. Die Männer warteten im Bus, der uns zu den jeweiligen Büros fuhr. Inzwischen war es hell, und vor mir erstreckte sich die Baustelle, so weit das Auge reichte. Das »Büro«, in dem ich nun die nächsten Monate oder vielleicht Jahre verbringen würde, war ein Container.



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