Tagebuch eines Engels (epub) by Jess-Cooke Carolyn

Tagebuch eines Engels (epub) by Jess-Cooke Carolyn

Autor:Jess-Cooke, Carolyn
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783492951470
Herausgeber: Piper Verlag


– 17 –

EIN SAMENKORN

Kurze Zeit später war ich in Vegas. Gaia versuchte, mir die Hochzeit in allen Einzelheiten zu schildern, aber ich sagte ihr – zugegebenermaßen ziemlich grantig –, dass sie sich das sparen könne. Ich konnte mich nur zu gut daran erinnern. Das vor der Kapelle hängende Neonschild mit einem zu Bruch gegangenen Herzen – ein schlechtes Omen. Die kitschigen Plastikblumen und die Aufzugmusik, die aus einer elektrischen Orgel im Eingangsbereich trällerte. Das Toupet des Standesbeamten, das im Wind der Klimaanlage flatterte wie der Flügel eines toten Vogels. Toby, wie er sich durch das Eheversprechen kicherte. Und mein eigenes Zögern, als ich »Ja« sagte und eigentlich viel lieber gefragt hätte, was Ehe eigentlich bedeutet, wie man sicher sein konnte, dass man nun auch den Richtigen heiratete. Wie es sich anfühlte, wenn man wirklich richtig verliebt war, statt – wie es mir so oft passiert war – nur das dringende Bedürfnis zu haben, dass jemand mir ins Gesicht sagte, ich sei nichts wert. Und ich erinnerte mich daran, dass ich dachte, es sei jetzt vielleicht nicht gerade der passendste Augenblick für derartige Gespräche, vielleicht sei es besser, wenn ich mich jetzt an ein schlichtes »Ja« hielte und wir bis an unser Lebensende glücklich waren. Natürlich.

Ein Woche später ging es auf Hochzeitsreise. Margot und Toby kauften zwei Flugtickets nach Newcastle upon Tyne in Nordostengland. Nach der Ankunft raste Margot förmlich durch die kleine Halle und zog Toby hinter sich her, so sehr freute sie sich darauf, Graham zum ersten Mal seit drei Jahren wiederzusehen.

Doch als sie am Ausgang ankamen, war noch immer keine Spur von ihm.

»Meinst du, er hat es vielleicht vergessen?«, fragte Toby. »Komm, wir nehmen einfach eins von den Taxis da drüben.«

Margot schüttelte den Kopf und sah sich besorgt um. »Er hat es nicht vergessen. Auf gar keinen Fall. Ist ja nun nicht so, als hätte er fünfzig Töchter.«

Toby nickte und setzte sich auf seinen Koffer.

Als ich den Schatten durch die Tür am anderen Ende des Terminals eintreten sah, flüsterte ich Margot zu: Da ist er. Sein Anblick schmerzte mich.

Margot drehte sich um und entdeckte die Gestalt an der Tür.

»Ist er das?«, fragte Toby, der ihrem Blick gefolgt war.

»Nein. Papa ist nicht so dünn. Und er hat auch keinen Gehstock. Papa würde auf uns zugerannt kommen.«

Die Gestalt blieb eine Weile stehen und beobachtete Margot. Dann löste sie sich langsam aus dem Schatten und entpuppte sich als humpelnder Mann, als ein abgemagerter, gealterter Graham.

Margot hatte Schwierigkeiten, das Bild von dem langsam schlurfenden Mann mit ihrem Bild von Graham, ihrem Papa, zu vereinen. Ich konnte mich so schmerzhaft deutlich an diese Szene erinnern, dass ich es kaum ertragen konnte, jetzt zuzusehen. Denn Margot wurde mit einer ganzen Reihe von unerwarteten Veränderungen konfrontiert: Graham sah aus, als habe er soeben die Sahara durchquert. Der dicke Bauch, die breiten Schultern und die fleischigen Metzgerhände waren Geschichte. Aus seinem dichten Wuschelhaar war eine Handvoll Salzgras geworden, seine runden, roten Wangen waren eingefallen, und seine Augen – das war das Erschreckendste überhaupt – hatten jeden Glanz und Lebenswillen verloren.



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