Sommermorde auf Sandhamn. Zwei Kurzkrimis by Viveca Sten
Autor:Viveca Sten [Sten, Viveca]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783462319347
Herausgeber: Kiepenheuer & Witsch GmbH & Co. KG
Als sie wieder am Tisch saà und das Mitleid der anderen spürte, zerbrach etwas in ihr.
Wie eine Flutwelle brandeten all die Jahre der Erniedrigung in ihr auf. Sie erinnerte sich an jede Kränkung, jede boshafte Bemerkung. Sie würde nicht zulassen, dass er sie auch nur noch ein einziges Mal verletzte.
Weder mit Schlägen noch mit Worten.
Im selben Moment wusste sie, wie es passieren würde. Ruhe senkte sich auf sie herab, sie atmete leichter in der kühlen Abendluft. Es wurde jetzt rasch dunkel, und die flackernden Kerzen auf dem Tisch konnten die Schatten nicht verjagen.
Sie hob ihr Glas und prostete ihm zu. Dann hielt sie es ihm hin, damit er nachschenkte.
Er schien zuerst verwundert, dann grinste er breit und goss es randvoll mit dem hausgemachten Schnaps.
»Skål, zum Deibel«, lallte er.
Im Schutz der Dunkelheit zog sie das Medikament aus der Tasche. Sie trug sie immer bei sich, die kleine Dose mit Digitalis, dem Extrakt des gleichen schönen rosa Fingerhuts, der in ihrem Garten wuchs. Dem Mittel, das ihre Beschwerden linderte, wenn ihr Herz stolperte.
Eine Tablette genügte normalerweise, mehr als zwei durfte sie auf keinen Fall nehmen. Eine zu hohe Dosis verkehrte die Wirkung ins Gegenteil. Das konnte eine schwere Vergiftung zur Folge haben, sogar mit tödlichem Ausgang, hatte der Hausarzt ihr erklärt. Die Dosierung musste genau eingehalten werden.
Dass die Medizin eigentlich ein Gift war, dessen sich schon die Mönche im vierzehnten Jahrhundert bedient hatten, wusste sie aus dem Discovery Channel. Dort hatte man auch gesagt, dass der Wirkstoff schon nach weniger als vierundzwanzig Stunden nicht mehr nachweisbar war. AuÃerdem war er geruch- und geschmacklos.
Sie entschuldigte sich und erhob sich vom Tisch. Mit Daumen und Zeigefinger zerkrümelte sie vier Tabletten. Hastig lieà sie das Pulver ins Schnapsglas rieseln und rührte mit dem kleinen Finger um. Es löste sich problemlos in der Flüssigkeit auf, als sei das Mittel dazu gedacht, getrunken zu werden, wenn Schlucken nicht ging.
Niemand bemerkte, was sie tat. Die Gäste lauschten Nora, die ein kompliziertes Schnapslied mit vielen Strophen sang, das keiner je zuvor gehört hatte.
Sie glitt zurück an ihren Platz. Vorsichtig berührte sie seinen Arm und schob ihm ihr Glas hin.
»Trink du aus, es ist mir doch zu viel geworden.«
Den Blick auf Nora geheftet, griff er geistesabwesend nach dem Glas. Wie üblich kippte er den Schnaps in einem Zug hinunter.
Er verzog das Gesicht, aber das lag wohl am Johanniskraut. Demselben Johanniskraut, vor dem der Beipackzettel so eindringlich gewarnt hatte. In Kombination mit dem Medikament war es lebensgefährlich. Johanniskraut verstärkte die Wirkung von Digitalis und machte daraus ein tödliches Gift.
Rasch griff sie nach dem Glas, tat es aber bewusst so ungeschickt, dass es zu Boden fiel und zerbrach. Mit dem Schuhabsatz zertrat sie die Scherben. Immer noch beachtete sie niemand.
Am nächsten Morgen war es vorbei.
Als sie am Mittsommertag in ihr gemeinsames Schlafzimmer kam, war er bereits kalt.
Sie war überhaupt nicht zu Bett gegangen, sondern hatte unter einer Wolldecke auf dem Sofa geschlafen. Zuvor hatte sie im Garten sieben verschiedene Blumen gepflückt und sich unters Kopfkissen gelegt.
Sie hoffte, von einem Mann zu träumen, den sie heiraten konnte.
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