Sommerflüstern by Tanja Voosen

Sommerflüstern by Tanja Voosen

Autor:Tanja Voosen
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2015-06-03T16:00:00+00:00


***

Nachdem ich eine ganze Weile über den Highway gefahren war und mir klar wurde, dass ich mal wieder einen überstürzten Aufbruch hingelegt hatte, ohne irgendetwas mitzunehmen, musste ich mir etwas einfallen lassen. Da ich nicht wirklich weiterfahren konnte, bis mein Tank leer war, brauchte ich einen Ort, den ich ansteuern konnte. Spontan fiel mir da nur meine Grandma ein, die ich schon fast ein halbes Jahr nicht mehr gesehen hatte. Als das Schild für die Abfahrt in Sicht kam, traf ich eine Entscheidung. Ich war angeschlagen, müde und hungrig und hatte keinen Cent in der Tasche, also blieb mir im Prinzip nichts anderes übrig. Ich beschloss Grandma zu besuchen.

Nach dem Highway folgten mehrere Landstraßen. Die Sonne stieg immer höher und blendete mich beim Fahren, weshalb ich das Ortseingangsschild fast übersehen hätte. Die Häuser hier standen in großen Abständen voneinander, weil diese Stadt sehr ländlich gelegen war. Als ich in die Straße einbog, in der Grandma wohnte, kam ich mir ziemlich dämlich bei diesem Überraschungsbesuch vor. Sie besaß ein großes Haus, welches sie selber einmal geerbt hatte, in dem auch meine Mom zusammen mit ihren zwei Brüdern aufgewachsen war. Seit dem Tod meines Grandpa lebte sie allein. Es sei denn, man zählte Pepe, den schwarzen Labrador, dazu, der mindestens genauso steinalt sein musste wie Grandma Josephine selbst.

Ich versuchte mir ins Gedächtnis zu rufen, wann genau ich sie das letzte Mal gesehen und was ich zu ihr gesagt hatte, aber seitdem war so viel passiert, dass es mir nicht gelang und ich mich hier plötzlich ganz fremd fühlte. Aus diesem Grund kostete es mich ein klein wenig Überwindung die Verandastufen hinaufzusteigen.

An der Haustür hing ein Schild, das verkündete: Bin im Garten. Ich lief über den Kieselsteinweg an der Ostseite entlang und musste mich durch Gras kämpfen, das so hoch gewachsen war, als wäre es seit Jahren nicht mehr gemäht worden. Dem Geräusch nach erledigte das aber gerade jemand. Irgendwo in der Nähe sprang ein Rasenmäher an und ich zuckte zusammen.

Meine Grandma saß auf der Terrasse in der Hollywoodschaukel, die ich als Kind geliebt hatte, und trank etwas, das nach Limonade aussah. Ihre zierliche Gestalt wurde durch einen großen geblümten Hut halb verdeckt. Ihr Blick war auf einen jungen Mann gerichtet, der anscheinend ihr Gärtner war. Sie rief ihm irgendeine Anweisung zu und er unterbrach seine Arbeit wieder.

»Ich sagte, du sollst aufhören, Jason! Komm her und trink mit einer alten Dame ein Glas Limonade. Ich habe sie selber gemacht, wenn du sie nicht willst, bin ich beleidigt.«

»Ich dachte eher daran, das seltsame Mädchen von deinem Grundstück zu schmeißen, Josie«, erwiderte er. Er war merklich älter als ich, wahrscheinlich Mitte zwanzig und hatte exakt dieselbe helle Haarfarbe wie Lucy. Unsere Blicke trafen sich. Als ich in seine eisig blauen Augen blickte, war ich fast geschockt meinen Cousin wiederzuerkennen.

»In meinem Garten treiben sich nur seltsame Vögel herum«, begann Grandma Josephine zu meckern. »Und das nur, weil du das Elsternest noch nicht aus dem Baum geholt hast.«

Jason rieb sich die verschwitzen Hände an seinem karierten Hemd ab.



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