Scherbenbrand - Historischer Roman (German Edition) by Cornelia Lotter

Scherbenbrand - Historischer Roman (German Edition) by Cornelia Lotter

Autor:Cornelia Lotter [Lotter, Cornelia]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Historischer Roman
veröffentlicht: 2019-10-24T07:00:00+00:00


Bornholm (Juli - Oktober 1933)

Sie standen auf der Fähre und sahen dem sich entfernenden Ufer nach. Würden sie jemals wieder nach Deutschland zurückkehren? Neben Margarete stand Michael, der im August seinen neunten Geburtstag feiern würde. Seine kleine Hand lag in ihrer. Er schwieg. Fühlte er, dass es sich nicht, wie von ihr behauptet, um eine Urlaubsreise handelte?

Der Aufbruch war überstürzt gewesen. Nur das Nötigste hatte Margarete einpacken können. Einen Großteil ihrer Arbeiter hatte sie entlassen, das Licht und das Telefon abgemeldet und einen Liquidator bestellt. Dem zuständigen Finanzamt hatte sie die Stilllegung des Betriebes zum 1. Juli 1933 gemeldet. Sie hatte nachgewiesen, dass derzeit auf Grund der feindlichen Stimmung unter den Arbeitern sowie von Absatzproblemen in ihrer Firma keine Rentabilität bestand. Ihre Lager waren zwar voll, doch war der Absatz nach den Boykottaufrufen der Nazis fast vollständig zusammengebrochen. Nahezu sämtliche Bestellungen jüdischer Einzelhändler oder Besitzer von Warenhäusern waren storniert worden.

Es war ihr keine andere Möglichkeit geblieben, als den Betrieb stillzulegen. Noch dazu wegen des Drucks der bevorstehenden Verhaftung. Wojak war in ihrer Abwesenheit weiterhin als Verwalter beschäftigt und sollte ein Auge auf die Firma haben. Max Silberberg war Wirtschaftsberater und Bücherrevisor und ihr von Glaubensgenossen empfohlen worden. Er betreute die buchhalterische und finanzielle Seite.

Hatte es wirklich keinen anderen Weg gegeben?, fragte sich Margarete nicht zum ersten Mal, während sie auf dem Deck der Fähre stand und ins gischtende Wasser schaute. Noch hatte sie ihre Firma nicht gänzlich aufgegeben. Ich will erst einmal etwas Gras über die Sache wachsen lassen, dachte sie. Vielleicht ist eine Weiterführung der Geschäfte ja später möglich. Vielleicht wird ja alles doch nicht so schlimm.

Es wurde kalt. Margarete begab sich mit ihrem Sohn unter Deck. Welch ein Glück, dass Gabriele jemanden kannte, der auf Bornholm ein kleines Ferienhaus besaß, in dem sie nun würde wohnen können.

Unter Deck bestellte Margarete zwei heiße Schokoladen, und das erste Mal seit ihrer Abreise schlich sich ein kleines Lächeln in die Züge ihres Sohnes. Noch immer litt er unter dem Tod seines Bruders. So oft sie seitdem auch versucht hatte, ihm seine Schuldgefühle zu nehmen; sie saßen in ihm genauso tief wie in ihr selbst. Damit würde sie leben müssen. Michael war noch jung. Vielleicht kann er es eines Tages überwinden, hoffte sie.

Ein Gutes hatte die erzwungene Reise doch: Sie würde endlich einmal das nachholen können, was sie so viele Jahre sträflich vernachlässigt hatte. Sie würde ihrem Sohn, ihrem letzten verbliebenen, Zeit widmen. Keine Fabrik, die immer wichtiger war, keine Entwürfe, die sie oft abends noch an ihrem heimischen Schreibtisch zu Papier bringen wollte. Keine Telefonate mit säumigen Zahlern oder unzufriedenen Kunden. Sie konnte auf der Insel nicht viel mehr tun als warten und hoffen. Und eben versuchen, das Beste aus der Situation zu machen.

Bis zum Anlegen der Fähre verbrachten sie auf einer Bank unter Deck in inniger Umarmung. Kurz schlief Michael sogar ein. Während Margarete das schlafende Kind betrachtete, krampfte sich ihr Herz zusammen. Sie dachte an Gustav, und dann dachte sie an Stephan. Wie viel Leid konnte ein Mensch noch



Download



Haftungsausschluss:
Diese Site speichert keine Dateien auf ihrem Server. Wir indizieren und verlinken nur                                                  Inhalte von anderen Websites zur Verfügung gestellt. Wenden Sie sich an die Inhaltsanbieter, um etwaige urheberrechtlich geschützte Inhalte zu entfernen, und senden Sie uns eine E-Mail. Wir werden die entsprechenden Links oder Inhalte umgehend entfernen.