Nichts als die Wahrheit? by Steller Max

Nichts als die Wahrheit? by Steller Max

Autor:Steller, Max [Steller, Max]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2015-08-30T16:00:00+00:00


Ground Zero der Strafjustiz und ein BGH-Urteil

Nach den Freisprüchen in allen drei Wormser Prozessen vor dem Landgericht Mainz legte die Staatsanwaltschaft Revisionen ein, die sie aber alsbald zurückzog. Letztlich wurde der ideologische Unsinn der Aufdeckungsarbeit wohl selbst von solchen Personen erkannt, die sich zuvor verrannt hatten. Der 11. September 2001 lag noch in der Zukunft, als die Wormser Prozesse beendet waren. 2002 bezeichnete ein führender Strafrechtsexperte sie dann als Ground Zero der Strafjustiz – die Justiz sah nach den Wormser Prozessen aus wie die Explosionsstelle einer Atombombe oder eben das Gelände des zerstörten World Trade Center. Diese Verfahren stellten ja nicht nur die Aufdeckungsarbeit und die fehlerhaften ersten Glaubhaftigkeitsgutachten an den Pranger, sondern sie waren für die Strafjustiz eine Katastrophe. Es verwundert daher nicht, dass sich der Bundesgerichtshof in der Folge mit den Methoden der Glaubhaftigkeitsbegutachtung und mit denen der Aufdeckungsarbeit beschäftigte.

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs wurde damals von Dr. Gerhard Schäfer geleitet. Dieser Vorsitzende besaß offenbar gute psychologische Kenntnisse, Weitsicht und ein Bewusstsein für gesellschaftliche Verantwortung. Er holte zwei wissenschaftliche Expertisen ein. Dann erging am 30. Juli 1999 ein Urteil, in dem Mindestanforderungen an Glaubhaftigkeitsbegutachtungen formuliert wurden. Der BGH betonte die Notwendigkeit einer wissenschaftlich begründeten Vorgehensweise bei der Verdachtsprüfung auf sexuellen Kindesmissbrauch. Damit hat der Senat der aussagepsychologischen Methodik Beweiswert zuerkannt und den damals weitverbreiteten eklektisch-intuitiven, zum Teil absurden Vorgehensweisen der Aufdeckungsarbeit eine klare Absage erteilt. Deutungen von Zeichnungen, von Puppenspiel oder sonstigen Verhaltensweisen haben nach dem BGH-Urteil aus Juli 1999 keinen Stellenwert mehr in forensisch-psychologischen Glaubhaftigkeitsbegutachtungen. Sie sollten als Folge davon auch in der therapeutischen und in der Beratungspraxis kritisch gesehen werden. Auch dort haben sie weder Aussagekraft noch Wert; vielmehr können sie zu falschen Schlüssen führen.

Ich bin stolz darauf, dass ich zusammen mit meiner Kollegin Prof. Dr. Renate Volbert an dieser wichtigen höchstrichterlichen Entscheidung mitwirken konnte. Prof. Dr. Klaus Fiedler und Dr. Jeanette Schmid, beide Universität Heidelberg, bildeten das zweite Expertenteam. Seit diesem Urteil sind nun mehr als anderthalb Jahrzehnte vergangen. Das Urteil hat zu vielen Verbesserungen geführt, aber es hat nicht verhindern können, dass ähnliche Probleme in neuer Verkleidung auftauchten.



Download



Haftungsausschluss:
Diese Site speichert keine Dateien auf ihrem Server. Wir indizieren und verlinken nur                                                  Inhalte von anderen Websites zur Verfügung gestellt. Wenden Sie sich an die Inhaltsanbieter, um etwaige urheberrechtlich geschützte Inhalte zu entfernen, und senden Sie uns eine E-Mail. Wir werden die entsprechenden Links oder Inhalte umgehend entfernen.