Mich gibt es nicht: Roman (German Edition) by Thériault Denis

Mich gibt es nicht: Roman (German Edition) by Thériault Denis

Autor:Thériault, Denis [Thériault, Denis]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: DTV
veröffentlicht: 2012-11-18T23:00:00+00:00


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»Eine Frau mit rosa Federn an den Ohren? Ja, ich habe von ihr geträumt«, bestätigte Mollusque.

Der behäbige Bursche glaubte nämlich, der freundlichen chinesischen Dame ein paar Tage zuvor im Traum begegnet zu sein.

»Ich lag in einem ganz weißen Raum, und sie saß neben mir«, erzählte er. »Sie hat mich über die Clique ausgefragt: Sie wollte unsere Namen wissen, herausfinden, wie viele wir sind. Wir sollen ja eigentlich nicht darüber reden, aber da es nur im Traum war, dachte ich, es sei nicht so schlimm, und habe geantwortet«, schloss der Koloss, der befürchtete, dass man ihm Vorwürfe machen würde.

Emma nickte ernst, als Zeichen, dass sie etwas Ähnliches geträumt hatte, worauf sich Audes letzte Illusionen verflüchtigten. Sie hatte gehofft, dass Tao nur geblufft und einige Informationen aus ihrer Akte benutzt hatte, um sie zu täuschen, aber offenbar hatte sie die Wahrheit gesagt. Sie allein hatte, ohne sich dessen bewusst zu sein, immer wieder das eine oder andere Mitglied der Clique verkörpert und reihum die Rolle eines jeden angenommen. Raoul, der splitterfasernackt herumsprang, Emma, die auf den Strich ging, Frigon, der die Kannibalen niedermetzelte, Mollusque, der sein Hundchen bemutterte, Matsheshu, der in der Metro auf seinem Didgeridoo spielte, Proust, der die unendliche Geschichte seiner Trunksucht fortschrieb, und selbst Ozzy, der die Wände der Stadt mit seinen Graffiti schmückte … Ozzy, der der schönen Ophelia nachstellte, sich in sie verliebte und voller Leidenschaft ihr Porträt malte, ohne zu ahnen, dass er sich in eine ausweglose Lage begab, dass seine amourösen Sehnsüchte schon im Keim erstickt werden würden. Die romantische Note dieser Liaison hatte nämlich allein in Ozzys Vorstellung existiert: Aus Ophelias Sicht konnte es sich nur um eine etwas zweideutige freundschaftliche Beziehung zu einer exzentrischen lesbischen Malerin handeln. Zumindest bis zu jenem Tag im Café Nelligan, an dem Aude ihre wahre Identität preisgegeben und alles durcheinandergebracht hatte. Wie verwirrend musste diese jähe, unerklärliche Veränderung in ihrem Verhalten für Ophelia gewesen sein. Wie merkwürdig musste es auf sie gewirkt haben, ihre Freundin Ozzy auf einmal über sich selbst in der dritten Person reden und geheimnisvolle Anspielungen auf einen »Bruder« machen zu hören, der zuvor noch nie erwähnt worden war. Man konnte sich vorstellen, was für eine stürmische Szene sich noch am selben Abend bei ihrem Treffen abgespielt haben musste: Ophelia, die ihre Freundin fragte, was für eine seltsame Komödie sie ihr vorgespielt habe, und Ozzy, der kein Wort davon verstand, der beteuerte, gar nicht im Café gewesen zu sein, aber dennoch zugeben musste, dass irgendetwas nicht stimmte … und dem es dann irgendwann dämmerte, dass dieser Körper, den er für den seinen gehalten hatte, womöglich nicht ihm allein gehörte. Deshalb hatte er so aufgewühlt gewirkt, als er an jenem Abend nach Hause kam. So also erklärte sich seine Bestürzung und jenes Entsetzen, jene Ablehnung, mit denen er Aude begegnet war, als sei sie ein Dämon, von dem er besessen war. Das war der Grund für seine Verstörung, sein Misstrauen, seine Aggressivität und sein Verbot, sich erneut in seine Beziehung zu Ophelia einzumischen.

Aude betrachtete ihre Hände, die auch die von Frigon waren.



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