Meine Kinderjahre by Fontane Theodor

Meine Kinderjahre by Fontane Theodor

Autor:Fontane, Theodor [Fontane, Theodor]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Roman, Literatur, Autobiographie
Herausgeber: (Privatkopie)
veröffentlicht: 1893-12-31T23:00:00+00:00


Elftes Kapitel

Was wir in Haus und Stadt erlebten

Wie wir in unserem Hause lebten, das zu zeigen, war Aufgabe der beiden vorigen Kapitel; in diesem wird es sich um Dinge handeln, die, wenigstens zunächst, nicht durch unser Zutun geschahen, sondern, von außen her an uns herantretend, das von uns geführte häusliche Leben nur begleiteten, beziehungsweise modelten. »Was wir in Haus und Stadt erlebten«, habe ich drum als Überschrift genommen.

Es war des Guten und Nichtguten gerade genug.

Im allgemeinen gilt das zwischen dem Sturze Napoleons und dem Tode Friedrich Wilhelms III. liegende Vierteljahrhundert als eine ereignisarme Stagnationsepoche, was aufs Ganze hin angesehen auch mehr oder weniger zutreffen mag, gerade das halbe Jahrzehnt aber (1827 bis 32), das ich in Swinemünde verbrachte, brachte, die Stagnation unterbrechend, des Interessanten eine ganze Fülle: die Befreiung Griechenlands, den russisch-türkischen Krieg, die Eroberung von Algier, die Julirevolution, die Losreißung Belgiens von Holland und die große polnische Insurrektion. Ich werde denn auch weiterhin in einiger Ausführlichkeit zu berichten haben, wie diese fernen Ereignisse die Bewohnerschaft unseres Hauses berührten, vor allem aber mein eigenes junges Herz, das für solche Dinge von früh auf erglühte. Zunächst indessen laß ich die Staatsaktionen aus dem Spiel und erzähle von dem, was sich als Stadtereignis unter unseren Augen zutrug. Allerdings trifft es sich dabei so, daß ich, um der Chronologie willen, meine beste Karte gleich zuerst ausspielen muß. Es war dies die Geschichte von »Mohr und seiner Frau«.

Wer war Mohr?

Kutscher Ehm hatte gleich am Tage nach unserer Ankunft, als wir den ersten Umgang durch unser Haus machten, die Frage gestreift, war aber nicht weit damit gekommen, und erst etliche Wochen später, als ich von ungefähr wieder den Namen »Mohr« hörte, frug ich Ehm, was es damit sei. Dieser, der nur zu gerne davon sprach, nahm mich auch gleich mit in seine Kammer hinein, und während er sich da an die Häcksellade stellte und zu schneiden begann, saß ich auf einem Schemel neben ihm und hörte seiner Geschichte zu. »Ja«, so schloß er (natürlich alles in Plattdeutsch) nach einer Weile, »so war das mit Mohr und seiner Frau. Die sind nu beid in Prison, und die Frau is krank und verfallen und macht es woll nich lange mehr, er aber, er is oben auf, und der alte Pietzker drüben meint auch, ans Leben gingen sie ihm nich. Und das is auch richtig und is noch von Anno 6 her. Da war er Soldat in Regiment Möllendorf, und Napoleon, als es bei Jena nich recht weiter wollte, soll da ganz wütend gesagt haben: ›Wer is denn bloß der Kerl da? So was hab ich ja in meinem ganzen Leben noch nicht gesehn.‹ Und unser König, als er wieder ein bißchen in Ruhe war, hat auch an Mohrn schreiben lassen, er könne sich eine Gnade ausbitten. Und die Gnade, die hängt noch, die is noch nich runter, und deshalb sagt Mohr immer: ›Sie können nich, auch wenn sie wollen; ich habe des Königs Gnade.‹«

Das klang soweit ganz gut, aber was diesen Schlußworten Ehms vorausging, also die eigentliche Geschichte, die klang schlimm, und es lief mir dabei kalt über den Rücken.



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