Meerraben by Cleve Brigitte

Meerraben by Cleve Brigitte

Autor:Cleve, Brigitte [Cleve, Brigitte]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: anTina, Contemporary
ISBN: 9783940926425
Google: EwNvrgEACAAJ
Herausgeber: Martin Bühler Publishing
veröffentlicht: 2015-06-14T22:00:00+00:00


Kapitel 9

Nach mehreren Einkäufen, die Lina Ende März, am Dienstag der angebrochenen Osterwoche, in diversen Geschäften zwischen Südermarkt und Nordertor getätigt hatte, saß sie mit dem Gefühl, runde Füße zu haben, bei einer Tasse Kaffee im Café Extrablatt in der Großen Straße. Verwundert stellte sie fest, dass sie am Ende ihrer Besorgungen nicht wie sonst das Bedürfnis verspürt hatte, möglichst schnell wieder in ihre vier Wände zurückzukehren. Als Carl noch nicht auf den Rollstuhl angewiesen gewesen war, hatten sie sich nach einem Einkaufsbummel gerne Kaffee und Kuchen oder auch etwas Herzhafteres gegönnt. Carl wollte meistens in das Restaurant Borgervereningen im Norwegerhof am Holm, Lina liebte die Atmosphäre in der Senfmühle. Meistens hatte sich Carl durchgesetzt.

Am Nordermarkt war sie vor ein paar Minuten an dem Lokal La Tasca vorbeigekommen, das Tapas anbot. Während ihres Aufenthaltes auf den Kanaren bei Nora war sie eine Anhängerin dieser kleinen Köstlichkeiten geworden. Sie nahm sich vor, Henning und Gyde demnächst in das Restaurant einzuladen.

Von ihrem kleinen Tisch im Café Extrablatt aus beobachtete sie die anderen Gäste. Irgendetwas erinnerte sie an das Hamburger Café, in dem sie am Tag vor Heiligabend nervös auf Henning gewartet hatte. Im Gegensatz dazu befand sie sich aber heute – vielleicht auch wegen der gelungenen Einkäufe – in einer regelrecht gelösten Stimmung.

In einem der Geschäfte am Holm war sie beim Anblick einer hellbeigen Seidenbluse schwach geworden, die zu dem schokoladenbraunen Hosenanzug passte, den sie sich vor ein paar Wochen während eines Stadtbummels mit Gyde auf deren Rat hin angeschafft hatte. An diesem Tag trug sie ihn zum ersten Mal. Nach dem Kalender war schon Frühling, von den Temperaturen her aber keineswegs. Sie hatte deshalb unter der Anzugjacke einen zart grünen Kaschmirpullover angezogen und dazu ein dezent grün-braun gemustertes Halstuch umgebunden.

Lina musste lachen, als sie sich an die Anprobe der neuen Bluse erinnerte. Zunächst hatte sie missmutig ihren nicht mehr straffen Hals und ihr alles andere als makelloses Dekolleté betrachtet, um sich dann, als die Bluse zugeknöpft war, wieder mit ihrem Spiegelbild zu versöhnen. Der Verkäuferin, die schon zweimal durch den Vorhang der Ankleidekabine gefragt hatte, ob sie klarkäme, gab sie mutig zur Antwort, dass sie nicht vorhätte, sich hetzen zu lassen. Dann ließ sie ihre Augen seelenruhig ganz vom Scheitel ihrer gut sitzenden Pagenkopffrisur bis zu den Spitzen ihrer Stiefelletten wandern. Sie kam zu dem Schluss, dass sie mit sich zufrieden sein konnte.

Henning und Gyde hatten sie schon mehr als einmal dafür gelobt, dass sie seit Januar nach und nach nicht nur im Haus, sondern auch bei sich selber die Veränderungen in die Tat umsetzte, die sie sich zum Jahreswechsel verordnet hatte. Gyde, die ihr immer dann den Rücken gestärkt hatte, wenn sie mal unsicher geworden war, verdiente dafür ein besonders dickes Osterei.

Lina schaute zur Uhr und gab der Kellnerin zu verstehen, dass sie bezahlen wollte. Während sie auf ihre Rechnung wartete, betrachtete sie gerade mit einem Anflug von Stolz ihren sportlich geschnittenen, kamelhaarfarbigen Kurzmantel an dem Garderobenständer schräg vor ihr, als sich der Rücken eines Mannes in ihr Blickfeld schob.



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