Mariposa - Bis der Sommer kommt by Vosseler Nicole

Mariposa - Bis der Sommer kommt by Vosseler Nicole

Autor:Vosseler, Nicole
Die sprache: eng
Format: epub
Herausgeber: cbj
veröffentlicht: 2015-02-25T16:00:00+00:00


38

Jake

Sie ließ mich los und ging rückwärts, tiefer in den Wald hinein. Zwanzig, dreißig Schritte, vielleicht auch mehr. Ohne ihre Augen von meinen zu lösen, einen stolzen Glanz darin, ein Funkeln.

Erst als sie stehen blieb, flackerte ihr Blick.

Die Hände zu Fäusten geballt, schloss sie die Augen.

Ich konnte ihren Atem hören, schnell und ruckartig, wie vor einem kräftigen Niesen. Anstrengung ritzte sich in ihr Gesicht, dann Schmerz.

Ich hatte nicht gewollt, dass sie litt, wollte ihr zurufen, dass es eine blöde Idee von mir gewesen war, sie davon abhalten; es war zu spät.

An ihrem Hals entfaltete sich ein Schmetterlingsflügel, an ihrer Schläfe ein zweiter. Ich konnte gar nicht so schnell schauen, wie ein Flügelpaar nach dem anderen aus Nessa aufsprang, sich aufklappte und zu flattern begann.

Dicht an dicht umschwärmten sich die Schmetterlinge, eine Traube unruhig bebender orangeroter Herbstblätter, unter denen ich Nessas dunkle Kleider leer zu Boden fallen sah.

Der erste Schmetterling taumelte in meine Richtung, gefolgt von einem zweiten, einem dritten, vielen.

Dieses Mal war es anders.

Dieses Mal umtänzelten mich die Schmetterlinge vorsichtig, wie zutraulich, fast zärtlich. Ein Wispern federte in der Luft. In einer Sprache, die ich nicht verstand, aber gern gelernt hätte.

Langsam streckte ich die Hände aus, in diese vibrierende, brandrote, schwarz und weiß gezeichnete Wolke hinein, die mich umschwebte. Ich staunte über diese filigranen Gestalten, so zart, so zerbrechlich und doch so voller Energie. Bewunderte das leuchtende Orange der Flügel und ihre blassgelbe Unterseite, die feine schwarze Äderung und die weißen Sprenkel am dunklen Flügelsaum.

Ich hatte noch nie etwas so Schönes gesehen.

Einige der Schmetterlinge ließen sich auf mir nieder. Auf meinen Händen, meinem Gesicht, vermutlich auch in meinen Haaren; andere streiften mich mit ihren Flügeln, kitzelten mich. Mehr eine Ahnung von Gefühl als eine wirkliche körperliche Empfindung, und doch ging es mir tief unter die Haut; ich bedauerte es, so viele Klamotten anzuhaben.

Ich konnte Nessa fühlen.

Überall auf mir, um mich herum.

In einer überwältigenden, zarten Umarmung, in der es mir nicht schwerfiel, still zu halten.

Hinter meiner Stirn begann es zu kribbeln und Tränen schossen mir in die Augen.

Es war mir egal.

Ein Gefühl von Verlust breitete sich in mir aus, als sich die ersten Schmetterlinge entfernten, den ganzen Schwarm wie ein sich entrollendes Band aus Flämmchen hinter sich her zogen.

Ein Verlust, den ich nicht zu verhindern wusste, weil ich nichts von Nessa festhalten konnte, ohne zu verletzen, ohne zu zerstören.

Hilflos, in einer verwirrenden Mischung aus Freude und Traurigkeit, sah ich zu, wie sich die Schmetterlinge unter einem Baum sammelten; eine flatternde, zitternde Flut, die zur Erde floss.

Ein Flügelpaar nach dem anderen klappte zu, ließ nach und nach milchweiße Haut sehen. Glänzend rote Haare.

Einen Mädchenkörper, der auf dem Waldboden lag, leblos und unendlich verwundbar.

Ich ratschte den Zipper meiner Jacke auf und riss sie mir vom Leib, als ich zu ihr lief; ich warf mich auf die Knie, packte sie in die Jacke und hob sie vom Boden auf, auf meinen Schoß.

»Es tut mir leid«, raunte ich in ihre Haare, während ich sie an mich drückte, ihre eisigen Unterschenkel rieb, ihre froststarren Füße. »Es tut mir leid, dass ich das von dir verlangt hab.



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