Malloreon 4 - Zauberin von Darshiva by David Eddings

Malloreon 4 - Zauberin von Darshiva by David Eddings

Autor:David Eddings [Eddings, David]
Die sprache: deu
Format: epub, azw3, mobi


12

Vella überkam Melancholie. Das war ein ungewohntes Gefühl für sie, doch sie stellte fest, daß es gar nicht so übel war. Süße, schmachtende Traurigkeit hatte etwas für sich. Sie schritt mit ruhiger Würde durch die vornehmen Marmorkorridore des Schlosses in Boktor, und jeder respektierte ihre versonnene Miene. Sie schob die Möglichkeit beiseite, daß ihre Dolche ihren Teil zu diesem Respekt beitragen mochten. Tatsächlich hatte Vella seit fast einer Woche keinen Dolch mehr gezogen – das letztemal wegen eines zu plump vertraulichen Dieners, der ihre derbe Kameradschaftlichkeit für eine Aufforderung zu intimerer Freundschaft gehalten hatte. Aber sie hatte ihn nur leicht verwundet, und er hatte ihr bereits vergeben, noch bevor seine Verletzung versorgt war.

Ihr Ziel an diesem Morgen war das Privatgemach der Königin von Drasnien. In vielerlei Hinsicht verwunderte Königin Porenn sie. Die drasnische Edelfrau war zierlich und von schier unerschütterlichem Gleichmut. Sie trug keine Dolche und hob selten die Stimme, trotzdem wurde sie von ganz Drasnien und auch den anderen alornischen Königreichen geachtet. Vella hatte, ohne eigentlich so recht zu wissen weshalb, dem Vorschlag der zierlichen Königin nachgegeben, Gewänder aus lavendelfarbigem Satin zu tragen. Ein Gewand ist ein hinderliches Kleidungsstück, das die Bewegungsfreiheit der Beine einschränkt und den Busen einengt. Bisher hatte Vella immer schwarze Lederkleidung – Hose, Weste und Stiefel – bevorzugt; sie war bequem und praktisch; außerdem war sie haltbar und gab Vella dennoch die Möglichkeit, jene, die sie beeindrucken wollte, auf ihre Reize aufmerksam zu machen. Zu besonderen Anlässen hatte sie gewöhnlich ein wollenes Übergewand gewählt, das sich rasch ablegen ließ, und darunter hatte sie ein feines, durchsichtiges Untergewand aus rosa malloreanischer Seide getragen, das sich beim Tanzen an sie schmiegte. Satin, andererseits, raschelte auffällig, fühlte sich jedoch gut auf ihrer Haut an – und machte Vella auf beunruhigende Weise bewußt, daß zum Frausein mehr gehörte als zwei Dolche und die Bereitschaft, sie zu benutzen. Sie klopfte leicht an Porenns Tür. »Ja?« erklang die Stimme der Königin. Schlief die Frau denn nie? »Ich bin es, Porenn – Vella.« »Kommt herein, Kind.«

Vella knirschte mit den Zähnen. Sie war kein Kind! Seit ihrem zwölften Geburtstag war sie von zu Hause fort. Sie war ein halbes dutzendmal verkauft – und gekauft – worden und war ein viel zu kurzes, wunderschönes Jahr mit einem schlanken nadrakischen Trapper namens Tekk verheiratet gewesen, den sie wahnsinnig geliebt hatte. Doch Porenn zog es vor, sie als halb gezähmtes Füllen zu sehen, das noch dringend der Ausbildung bedurfte. Unwillkürlich milderte dieser Gedanke Vellas Ärger. Die niedliche blonde Königin von Drasnien war auf merkwürdige Weise zur Mutter geworden, die Vella nie gehabt hatte; und die Gedanken an Dolche schwanden unter dieser weisen, sanften Stimme.

»Guten Morgen, Vella«, begrüßte Porenn das Mädchen beim Eintreten. »Möchtet Ihr eine Tasse Tee?« In der Öffentlichkeit trug die Königin immer Schwarz, doch ihr Morgenrock war von blassem Rosa, und in dieser weichen Farbe sah sie sehr verwundbar aus.

»Hallo, Porenn«, grüßte Vella. »Nein, keinen Tee, danke.« Sie ließ sich in einen Sessel neben dem Diwan der blonden Königin fallen.

»Nicht plumpsen, Vella«, mahnte Porenn. »Damen tun das nicht.



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