Kokoro by Natsume Soseki

Kokoro by Natsume Soseki

Autor:Natsume, Soseki
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: d-Manesse
veröffentlicht: 2016-08-17T00:00:00+00:00


7

Anfang Sommer des nächsten Jahres kehrte ich zum dritten Mal in meine Heimat zurück. Ich konnte es jedes Mal kaum erwarten, bis das Jahresexamen vorbei war, und ich floh geradezu aus Tōkyō, so sehr liebte ich meine Heimat. Sicher kennen Sie das auch. Da, wo man geboren wurde, ist die Luft eine andere, und über allem schwebte für mich köstlich die Erinnerung an meine Eltern. Diese beiden Monate Juli und August, in denen ich, wie eine Schlange in ihrer stillen, warmen Höhle zusammengeringelt, mich meinen geliebten Erinnerungen hingab, waren so beruhigend wie nichts sonst.

Naiv wie ich nun einmal war, hielt ich es nicht für nötig, mir dieser Heiratsgeschichte wegen das Herz schwer zu machen. Wirklich unangenehm war mir nur, dass ich nun ein für alle Mal entschieden Nein sagen musste. War das erst einmal überstanden, hörten, wie ich überzeugt war, alle Schwierigkeiten auf. Obwohl ich mich dem Wunsch meines Onkels nicht gefügt hatte, war ich, als ich aus Tōkyō kam, ziemlich gleichgültig. Ich hatte mich während des ganzen Jahres nicht bekümmert und kehrte nun so glücklich wie immer in meine Heimat zurück.

Doch ich fand meinen Onkel völlig verändert. Er schloss mich nicht mit der gleichen Herzlichkeit wie bisher in die Arme. Ich merkte das, da ich liebevoll umsorgt aufgewachsen war, erst nach einigen Tagen. Bei irgendeinem nichtigen Anlass erschien mir sein Verhalten plötzlich merkwürdig. Auch meine Tante und meine Cousine benahmen sich seltsam. Ja, sogar sein Sohn, der mich erst kürzlich noch in einem Brief um Rat gefragt hatte, da er nach Abschluss der Mittelschule in die Handelsfachschule nach Tōkyō gehen wollte – auch er verhielt sich kalt und unfreundlich zu mir. Über all dies musste ich gründlich nachdenken. Hatten sich meine eigenen Empfindungen verändert? Nein, doch warum war mit einem Mal das Verhalten meiner Verwandten anders geworden? Plötzlich war mir, als hätten meine toten Eltern meine trüben Augen wieder blank gerieben, sodass ich die Welt in aller Klarheit sehen konnte. In irgendeinem Winkel meines Herzens war ich überzeugt, dass meine Eltern, mochten sie auch aus dieser Welt entschwunden sein, mich noch immer liebten. Es hatte sich inzwischen nicht etwa mein Verstand eingetrübt, doch in meinem Blut strömte noch dieser kraftvolle Aberglaube, den ich von meinen Vorfahren ererbt hatte, und ich trage ihn wohl noch immer in mir.

Allein stieg ich auf den Hügel und kniete vor den Gräbern meiner Eltern nieder, halb aus Trauer, halb um ihnen zu danken. Überzeugt, mein zukünftiges Lebensglück liege noch ganz in ihren, nun unter kalte Steine gebetteten Händen, flehte ich sie an, auch weiterhin für mich zu sorgen. Sie mögen darüber lächeln, es ändert nichts daran. So bin ich nun einmal.

Meine Welt veränderte sich. Ich war fünfzehn oder sechzehn Jahre alt, als ich zu meinem Erstaunen sah, dass es Schönheit auf Erden gab. Oft konnte ich meinen Augen kaum trauen. Ich rieb sie verwundert und rief: «Wie schön! Wie herrlich schön!» Es war im Leben eines jungen Menschen die Zeit, da Knaben und Mädchen, wie es so heißt, geschlechtlich erwachen. Und ich vermochte damals zum ersten Mal in den Frauen die Repräsentantinnen aller Schönheit der Welt zu sehen.



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