Kirche als Moralagentur? (German Edition) by Joas Hans

Kirche als Moralagentur? (German Edition) by Joas Hans

Autor:Joas, Hans [Joas, Hans]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Kösel-Verlag
veröffentlicht: 2016-11-27T16:00:00+00:00


Moralagentur Kirche?

V on der Kirche als Moralagentur der Gesellschaft war in diesen Überlegungen bisher keine Rede. Das ist nicht verwunderlich, da in dem, was ich normativ, zeitdiagnostisch und kirchenhistorisch zu entwickeln versucht habe, weder »Moral« noch »Agentur« im Vordergrund standen. Die Kirche, die ich zu beschreiben versuche, ist eine missionarische Kirche, begeistert von dem Glauben, der in ihr lebt, global orientiert, sich nicht in ihren Strukturen selbst sakralisierend, zu Kompromissen fähig, weil in ihrem Glauben über einen Kompass verfügend, lernend von anderen Christen, anderen religiösen Traditionen und von säkularen Universalisten.

Eine solche Kirche kann sich nicht als Moralagentur definieren, weil ihre Botschaft nicht vorrangig eine moralische ist und weil sie sich niemandem als Agentur anbietet. Mit Moral kann man schlecht missionieren, Mission muss von Begeisterung getragen sein und mit dieser Begeisterung anstecken. Zumindest in meiner Begriffssprache ist Moral restriktiv; sie schränkt uns in unseren Handlungsmöglichkeiten ein, verbietet uns bestimmte Ziele und Mittel; Religion dagegen ist attraktiv, »enabling«, sie vergrößert unsere Handlungsmöglichkeiten, indem sie uns überhaupt erst Wege und Erfahrungen eröffnet, die nicht schon immer gangbar waren 45 . Während wir uns den moralgeleiteten Menschen als einen Hochleistungsathleten vorstellen müssen – so frei nach William James –, der sich auf seinen Willen konzentriert, wird der religiöse oder überhaupt ein von Idealen geleiteter Mensch von einer Leidenschaft getragen. Natürlich kann solche Leidenschaft dann auch zur freudigen Erfüllung moralischer Pflichten motivieren, aber das macht sie nicht selbst zur Moral. Und die Formulierung »Agentur« verweist ja auf eine Bereitschaft, Aufträge anzunehmen und tätig zu werden für einen anderen, weil dieser es so will. Wessen Agentur aber könnten die Kirchen sein, wenn sie sich als Moralagenturen verstünden? Naheliegend wäre es, von Agenturen des Staates zu sprechen, aber seit dem Dritten Reich wollen beide Kirchen in Deutschland trotz aller Abhängigkeit von diesem nicht in den Verdacht zu großer Nähe zum Staat geraten. Obwohl sie deshalb von der »Gesellschaft« reden oder, wie Wolfgang Huber in seinem wichtigen Buch »Kirche in der Zeitenwende« 46 , von der »Zivilgesellschaft«, habe ich den Verdacht, dass jede Selbstdeutung der Kirchen als zentral für den moralischen Zusammenhalt der Gesellschaft eine Rechtfertigungsformel für ihre Daseinsberechtigung und für staat­liche Subventionierung sein soll. Ich denke, dass nur die spezifischen Bedingungen der Bundesrepublik Deutschland und ihres unverwechselbaren Staat-Kirchen-Arrangements eine solche Formel überhaupt nahelegen. Weder bei scharfer laizistischer Scheidung von Kirche und Staat (wie in Frankreich) noch bei vielfältigem und »echtem« religiösen Pluralismus (wie in den USA) läge diese Bestimmung nahe. In ihr liegt die Formel für einen Deal, der institutionelle Anerkennung im Austausch gegen Selbstbeschränkung aufs Moralische bietet.

Mit dieser Konzentration auf Moral wird aber nicht nur der Eigencharakter des Religiösen verfehlt, sondern auch der des Politischen. Man könnte das die Falle der Gesinnungsethik nennen. Wer ausschließlich mit moralischen Argumenten in politische Debatten eingreift, wird hilflos oder arrogant erscheinen. Hilflos erscheint der, der Stellung nimmt, ohne der Komplexität eines Problems Rechnung zu tragen und ohne sich um die absehbaren Wirkungen einer aus moralischen Gründen befürworteten Politik zu kümmern. Arrogant wirkt, wer für die eigene politische Stellungnahme pauschal moralische



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