Integration: Ein Protokoll des Scheiterns (German Edition) by Hamed Abdel-Samad

Integration: Ein Protokoll des Scheiterns (German Edition) by Hamed Abdel-Samad

Autor:Hamed Abdel-Samad [Abdel-Samad, Hamed]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783426450536
Herausgeber: Droemer eBook
veröffentlicht: 2018-04-09T22:00:00+00:00


Kultur und Wertesysteme der Herkunftsgesellschaft bestimmen auch das Leben in der neuen Heimat

Also muss dieser Erfolg mehr mit den Vietnamesen selbst zu tun haben als mit den jeweiligen Umständen im Einwanderungsland. Die NZZ gibt Sarrazin indirekt recht: »Im Kern geht es jedoch um den Einfluss der Kultur, um die unterschiedlichen Wertesysteme in den Herkunftsgesellschaften. Diese Diskussion kann gewiss in Klischees kippen, und der Vorwurf des Rassismus ist nie weit. Gleichwohl sind die Unterschiede zwischen den einzelnen Ethnien zu groß, als dass sie sich ignorieren ließen.«[11]

In der Tat muss man sich fragen, warum es arme, teils kaum gebildete vietnamesische Flüchtlinge, die nach einer schweren Flucht traumatisiert aus einem kriegsgebeutelten Land kamen, geschafft haben, sich in einer völlig anderen Kultur im Westen zurechtzufinden. Der Wirtschaftspädagoge Rolf Dubs von der Universität St. Gallen sieht vier Gründe für diesen Erfolg: Ordnung, diszipliniertes Lernen, intensive Betreuung durch Eltern wie Lehrer – und die konfuzianisch-buddhistisch geprägte Kultur, die der Bildung höchste Priorität einräumt. Deshalb würden Länder aus dem südostasiatischen Kulturkreis bei der PISA-Studie auch meist besser abschneiden als viele europäische Staaten.

Es spielt darüber hinaus sicherlich eine große Rolle, wie Kulturen aufeinander blicken. Die Vietnamesen sehen Europa nicht als ihren historischen Feind. Sie müssen ihre Kinder nicht davor warnen, westlich zu leben. Für sie bedeutet »westlich« in erster Linie Bildung, Disziplin und Fleiß. Alles Werte, die sie auch in ihrer Kultur finden. Hinzu kommt, dass Themen wie Sexualität und Ehre bei der Erziehung der Kinder kaum eine Rolle spielen. Die deutschen Soziologen Helmut Gillmeister und Jürgen Fijalkowski sprachen bereits 1997 von einer »kulturellen Kompatibilität«, die – sofern vorhanden – eine Integration erleichtert. Der Ethnologe Frank Weigelt, der seine Dissertation über die vietnamesische Diaspora in der Schweiz geschrieben hat, neigt ebenfalls zu dieser These.

Selbstverständlich muss man immer betonen, dass weder Ethnien noch Menschen, die einer Religion angehören, einheitliche Blöcke bilden. Es geht immer um Individuen, und deshalb gibt es auch viele Muslime, die gebildet und gut integriert sind und Vietnamesen, die Probleme mit der Justiz haben. Man kann noch nicht einmal pauschal von »Türken« sprechen, denn es gibt viele Unterschiede zwischen Kurden, Aleviten und Sunniten. Und dennoch halte ich es für legitim, bestimmte Verhaltensweisen bestimmen Kulturen zuzuschreiben. Eine Kultur, die sich mehr auf das Jenseits konzentriert als auf das irdische Leben, kann vermehrt fatalistisch denkende Menschen hervorbringen. Eine Kultur, die die Sexualität tabuisiert und die Geschlechtertrennung hochhält, erzeugt verklemmte, sozial inkompetente Individuen, die sich in einer freien, offenen Gesellschaft nicht zurechtfinden. Eine Kultur, die sich selbst als die moralisch bessere Alternative zum Rest der Welt sieht, erlegt ihren Anhängern eine schwere Bürde auf im Umgang mit Menschen aus anderen Kulturen. Dagegen erleichtert eine Kultur, die den Respekt für die Menschen und die Harmonie mit der eigenen Umgebung nicht von der Religion abhängig macht, den eigenen Anhängern, sich in fremden Kulturen besser einzufügen.



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