In der Geisterstunde und andere Spukgeschichten by Paul Heyse

In der Geisterstunde und andere Spukgeschichten by Paul Heyse

Autor:Paul Heyse [Heyse, Paul]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Gelesen, Erzählungen
Herausgeber: Hertz
veröffentlicht: 1893-12-31T23:00:00+00:00


Martin der Streber

(1892)

Zu den Stammgästen, die sich zweimal wöchentlich am Honoratiorentische des Gasthofs »Zur blauen Traube« zu versammeln pflegten, war heut ein fremder Gast hinzugekommen, ein ernsthafter junger Herr, der, obwohl er die Mitte der Zwanziger noch nicht überschritten hatte, mit gereifter, auffallend selbstgewisser Würde auftrat und ohne Verlegenheit am Gespräch der älteren Herren Theil nahm. Der Stadtpfarrer, ein trefflicher, bei Alt und Jung beliebter Mann, hatte ihn eingeführt und als seinen Schwestersohn, den Candidaten N**, vorgestellt, der soeben seine Examina rühmlich bestanden habe und gekommen sei, um sich nun auch von dem alten Oheim auf den Zahn fühlen zu lassen. Dieser hatte schon früher mit einigem Familienstolz von dem Neffen gesprochen und des guten Rufes gedacht, den das hoffnungsvolle junge Kirchenlicht um sich verbreitet habe. Nun aber, da der so gut Empfohlene in Person sich eingestellt hatte, war dem jovialen alten Herrn, der sonst den vertrauten Kreis durch seine gute Laune belebte, eine gewisse Verlegenheit anzumerken, die ihn zerstreut und einsilbig machte.

Der Grund blieb nicht lange verborgen. Das Städtchen, das sonst nicht zu den ansehnlichsten des Landes zählte, hatte das Glück, unter den Männern, die sein leibliches und geistiges Wohl behüteten, wohl ein Dutzend aufgeweckter Köpfe zu besitzen, Leute von klarem Blick und gesunder Lebenserfahrung, mit mancherlei Interessen, die in kleineren Verhältnissen sonst leicht verkümmern. So pflegte denn die Unterhaltung an diesem Stammtische sich nicht, wie anderwärts üblich, nur um Kirchthurmsfragen und kleinen Klatsch zu drehen, oder in öde Kannegießerei auszuarten. Fast alle Theilnehmer hatten ein Stück Welt durchfahren, ehe sie hier in bescheidenen Aemtern und Berufen vor Anker gingen, und einige witzige Köpfe, der Stadtrichter, der Rentamtmann, der Apotheker, nicht zuletzt der Herr Stadtpfarrer selbst sorgten dafür, daß den soliden Debatten auch die Würze des Humors nicht fehlte. Wer fremd in diese Gesellschaft eintrat, pflegte den ersten Abend genug mit Zuhören und Lachen zu thun zu haben, um mehr als ein gelegentliches Wort dazwischenzuwerfen.

Der junge geistliche Herr aber schien es als seine Aufgabe zu betrachten, gleich am ersten Abend über seine Gaben und Tugenden und seinen Beruf zum Seelsorgeramt keinen Zweifel bestehen zu lassen.

Der Apotheker hatte ein lustiges Geschichtchen zum Besten gegeben. Vor etlichen Tagen war eine Frau zu ihm gekommen mit der Frage, ob er ihr nicht ein Mittel gegen das Träumen zu geben wisse. Sie sei in eine andere Wohnung gezogen und habe gleich am ersten Abend geträumt, sie sei gestorben und in den Sarg gelegt worden, habe aber ihr Bewußtsein behalten. Da seien durchs offene Fenster Bienen hereingeflogen und hätten sich auf ihren Leib gesetzt, so daß sie überall schmerzhafte Stiche empfunden habe, doch ohne sich wehren zu können. Als sie dann aufgewacht, habe sie nur allzu deutlich die Spuren des Traums an ihrer Haut wahrnehmen können. Aehnlich in der nächsten Nacht. Da sei sie aber nicht nur lebend, sondern in solcher Jugend und Schönheit unter einer Schaar guter Freundinnen herumgewandelt, daß Alle sie voll Neid und Eifersucht angeblickt hätten. Auf einmal sei der ganze Schwarm auf sie eingedrungen, mit Nadeln bewaffnet, die sie ihr ins Fleisch bohrten, um sie aus der Welt zu schaffen.



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