In den Wind geflüstert by Gudmundur Andri Thorsson

In den Wind geflüstert by Gudmundur Andri Thorsson

Autor:Gudmundur Andri Thorsson [Thorsson, Gudmundur Andri]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Island
ISBN: 9783455812725
Herausgeber: HOFFMANN UND CAMPE VERLAG GmbH
veröffentlicht: 2015-04-22T16:00:00+00:00


Búft

Pastor Sæmundur ist vorhin vom Summen einer Fliege aufgewacht. Sie landete zwischendurch auf der Bettdecke und krabbelte dort eine Weile herum, langweilte sich jedoch schnell und flog weiter, summte weiter, erst an seiner Stirn, dann an den Nasenlöchern, schließlich im Ohr. Er grummelte und wedelte mit der Hand, und sie umkreiste das Bett, landete dann auf seinem Arm und krabbelte darauf herum. Sie war fest entschlossen, ihn zu wecken, gab vor, ein kleiner Goldregenpfeifer zu sein, der ihm sagte, er solle aufwachen und arbeiten. Aber sie war nur eine kleine Fliege. Draußen in der Heide hörte er einen echten Goldregenpfeifer. Er rief fröhlich bi, als dächte er gar nicht an ihn und hätte genug mit sich selbst zu tun.

Er spürte die Sonne auf den Schläfen, heiß und aufdringlich wie eine überschwängliche Tante. Sie bohrte sich in seinen Kopf, in sein Bewusstsein. Er hatte Kopfschmerzen. Auf dem warmen Kissen war Sabber. Er erinnerte sich, wo er war und wo er gewesen war. Am selben Ort und zugleich auch nicht. Jetzt war er hier. Es war Freitag. Es war Mittsommer.

Er hatte den ganzen Tag geschlafen, war erst gegen Morgen ins Bett gegangen, daran erinnerte er sich. Er hatte den Tag verschlafen, das wusste er: die Mittagszeit, zu der er bei der alten Lauga vorbeischauen wollte, den Nachmittag, an dem er ein paar Zeilen für das Konzert heute Abend schreiben wollte. Was sollte er über Chorgesang sagen? Mein Herz ist getrost, o Gott, ich will singen und spielen, hieß es in den Psalmen. Er öffnete den Mund und sang leise »Trallala« und verstummte. Sein Singen klang wie das Summen der Fliege, die dies als Aufforderung für einen neuen Vorstoß ansah, ihn aus dem Bett zu schmeißen.

Er blieb noch eine Weile liegen und betrachtete die über ihm schwirrende Fliege. Von draußen drang der vage Klang eines Lieds über den Sonnenschein in Dakota herein. Er sinnierte über den Sonnenschein. Er sinnierte über den vielen Schlaf in der brütenden Hitze, über diesen tatenlosen Sommer, über sein Pfarramt, sein Leben. Er nahm sich ins Visier.

Über allem lag unheilvoller Zigarettenmief, vermischt mit Biergeruch. Er hatte letzte Nacht fast zwei Sixpacks getrunken – eine volle Wochenration, die er sich streng zugeteilt hatte – und ein ganzes Päckchen Zigaretten geraucht. Er schmatzte, schluckte, sinnierte über das Rauchen und das Trinken. Dann dachte er an seine nächtlichen Internetaktivitäten und spürte, wie er innerlich erblasste.

Er war hier – hier und jetzt. Es war Freitag, Mittsommer … da war etwas, was er heute machen musste. Er lag im Schlafzimmer, hatte es offenbar geschafft, sich auszuziehen und ins Bett zu gehen. Gestern Abend hatte er nicht bei Chor-Kata angerufen und war nicht zu ihr nach Hause gegangen, um sie zu überreden, ihn hereinzulassen – diesmal nicht –, das wusste er noch und wurde sofort von einer seltsamen Freude über diesen Erfolg ergriffen, als hätte er einen Preis dafür verdient. Anfang des Sommers hatte er vor ihrem Fenster gejammert, bis Kalli gekommen war und ihn nach Hause gescheucht hatte … Doch nun war er hier und jetzt.



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