Immer wenn es Sterne regnet by Susanna Ernst

Immer wenn es Sterne regnet by Susanna Ernst

Autor:Susanna Ernst [Ernst, Susanna]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Fiction, General
ISBN: 9783426427699
Google: QoayAwAAQBAJ
Herausgeber: Feelings
veröffentlicht: 2014-07-08T22:00:00+00:00


»Worüber denkst du nach?«, frage ich.

Wir sitzen zwar gemeinsam in einem Taxi, haben aber so viel Platz zwischen uns gelassen, wie die lederne Rückbank hergibt. Ihre Reisetasche, die zwischen uns auf dem mittleren Sitz liegt, fungiert als zusätzlicher Abstandhalter.

Mary blinzelt einige Male hintereinander und findet offenbar nur schwer aus ihrem gedankenverlorenen Zustand. Dann schüttelt sie betrübt den Kopf.

»Ich hätte nicht weglaufen dürfen. Wie ein Teenager habe ich mich benommen. Dabei braucht mein Dad doch Hilfe. Er braucht jemanden, der sich um ihn kümmert. Und ich laufe weg.«

»So ist das wohl immer mit Eltern«, sage ich leise, denn ohne zu wissen, was zwischen ihr und ihrem Dad passiert ist, verstehe ich nur zu gut, was sie fühlt. »Egal, wie schwach sie sind, und egal, wie unreif sie sich benehmen, sie haben trotzdem die Macht, dass wir uns wieder wie die kleinen Kinder fühlen, die wir nie mehr sein wollten. Nicht, dass sie das beabsichtigen. Sie merken es vermutlich nicht einmal. Aber so ist es doch, nicht wahr?«

Mary denkt eine Weile darüber nach, dann nickt sie verhalten.

»Möchtest du mir nicht erzählen, was passiert ist?«, frage ich leise.

Mary überrascht mich, indem sie mich lange ansieht, noch einmal tief durchatmet … und sich dann näher zu mir herüberlehnt, um sich mir tatsächlich anzuvertrauen. »Meine Eltern haben sich vor elf Jahren getrennt. Meine Mom hat damals einen neuen Mann kennengelernt, und sie sind zusammen nach Kalifornien gezogen.«

»Oh, das ist blöd«, sage ich, doch Mary schüttelt nur den Kopf.

»Jedenfalls musste mein Dad unser Haus vor einigen Jahren verkaufen und wohnt seitdem allein in einer Mietswohnung, hier in Seattle. Er war schon immer ein ziemlicher Eigenbrötler, ist nie gerne unter Menschen gegangen. Selbst seinen Beruf hat er größtenteils von zu Hause ausgeübt. Aber seitdem er alleine lebt, geht es ihm überhaupt nicht mehr gut. Er vermisst meine Mom bis heute, trinkt viel zu viel und ist kaum noch wiederzuerkennen. Sämtliche meiner Versuche, ihn zu mir nach Papen County zu holen, sind gescheitert. Dabei wäre ein bisschen Geselligkeit so wichtig für ihn, denn von dem starken, liebevollen Vater meiner Kindheit ist mittlerweile nicht viel mehr als ein Schatten übrig geblieben.«

Sie räuspert sich kurz, sichtbar um Fassung ringend. »Zwischen uns … ist es ziemlich schwierig. Ich liebe ihn sehr, aber es tut mir furchtbar weh, ihn so zu sehen. Deswegen …« Ihre Scham ist für die neue kleine Pause verantwortlich, die sie einlegt. »Ich meide den Kontakt, weil ich mich so hilflos fühle und es mich jedes Mal runterzieht, ihn zu besuchen oder mit ihm zu sprechen. Natürlich telefonieren wir regelmäßig, aber immer bin ich diejenige, die ihn anruft, niemals umgekehrt. Und selbst dann kann man mit viel gutem Willen nur bei etwa einem Viertel dieser Telefonate von einem echten Dialog sprechen. … Vor unserer heutigen Begegnung habe ich ihn das letzte Mal im vergangenen Jahr gesehen, und da war es schon schlimm. Aber heute …«

Sie tupft über ihre Wangen, weil neue Tränen überquellen. »Es hat keine zwei Minuten gedauert, bis er sich nach Mom erkundigte. Und dann …«



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