Im Zwielicht : Nachgelassene Novellen by unknow

Im Zwielicht : Nachgelassene Novellen by unknow

Autor:unknow
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Erzählungen, Übersetzung
Herausgeber: Kiepenheuer
veröffentlicht: 1912-12-31T23:00:00+00:00


Ein Erfinder

Chenue fühlte sich sehr unglücklich. Er war wieder einmal umgezogen, nachdem er über seine neue Wohnung alle möglichen Erkundigungen und Auskünfte eingezogen, alle möglichen Fragen gestellt hatte. Diesmal hoffte er eine ruhige Wohnung, stille Nachbarn mit Teppichen und Decken, kurz, einen Dunstkreis des Friedens gefunden zu haben. Kaum war er eingezogen, so überzeugte er sich, daß alle seine Vorsichtsmaßregeln umsonst gewesen waren. Was der Portier ihm beteuert hatte, war nichts als Lüge. Die Mieter über ihm trampelten auf dem blanken Parkett herum. Kein Teppich, nicht einmal eine Strohmatte, die ihre Schritte etwas dämpfte. Es war, als ob sie ihm zum Trotze da oben herumliefen, genau über seinem Kopfe. Und keinen Augenblick Pause! Es war, als ob sie ewig in Unruhe waren, wie wenn ein Verrückter bei ihnen hauste oder sie stets im Umzug begriffen, mit Reisevorbereitungen beschäftigt wären. Es sollte also von neuem beginnen, dieses Martyrium, dieses ewige Gefaßtsein auf den Lärm von Schritten oder das Rücken von Möbeln, das, so wenig laut es sein mochte, ihm doch körperlich weh tat, wie eine Berührung oder ein Schlag.

Chenue war verzweifelt. Er hatte immer diese Angst vor Geräuschen, diese krankhafte Liebe zur Ruhe gehabt. Er erinnerte sich, wie er schon als Knabe im Elternhause, das dicht neben einer alten Kirche lag, unter der Glocke gelitten hatte. Es krampfte sich ihm jedesmal alles zusammen, er fühlte sich vergewaltigt, mit der Glocke hin- und hergeschwenkt und wartete mit wahrer Herzensangst auf das Aufhören der Schläge. O unbestimmte Grenze des Lärms, Beginn des Schweigens, minutenlanges Helldunkel des Klanges! … Wenn endlich Stille eintrat, war es ihm, wie das Aufhören eines Schmerzes, wie das Verharschen einer Wunde, in ihm wie in der Luft … Daneben die gewaltsamen Geräusche, die ihn schier wahnsinnig machten. Er dachte an die Gewitternächte zurück, an die Furcht, nicht vor dem Blitz, der das ganze Zimmer in blendendes Schwefellicht taucht, sondern vor dem Krachen des Donners. O, diese Erschütterung! Ihm war, als ob der Blitz ihn durchführe; er sah sich blaß, rot und aufgeschnitten daliegen, wie einen anatomischen Durchschnitt. Die Angst davor war so unerträglich, daß er sich in die Schränke verkroch, sich die Ohren mit Watte und den Fingern zustopfte.

Heute tat ihm schon das geringste Geräusch ebenso weh … Es war ihm wie eine langsame Hinmarterung, all diese unnennbaren Geräusche, dieses Knacken und Treten, dieses Atmen und Sprechen, dieses ewige Gehen. Die Qual war um so grausamer, weil sie stückweise kam, um so unerträglicher, weil ununterbrochen. Eine abgefeimte Tortur, ein Brennen und Stechen an der Schwelle des Gehörs, weit schlimmer als ein großer Schlag, mit dem alles zu Ende ist. Viel lieber hätte er gehört, daß das Dach mit einem Male zusammenkrachte, als dies unaufhörliche Gehen und Kommen über seinem Kopfe, dieses Trapsen von Füßen, dieses Rücken von Möbeln, dieses Anstoßen und Fallen, dieses Lachen und Klavierspielen, dieses ganze fremde Leben, von dem er nur die Geräusche vernahm, und das sich ihm doch mit seiner ganzen Brutalität gebieterisch aufdrängte, als ob die anderen bei ihm und er bei den anderen lebte.



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