Im wilden Wedding by Heiko Werning

Im wilden Wedding by Heiko Werning

Autor:Heiko Werning [Werning, Heiko]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Kolumnen, Satire, Humor, Sprache, Gesellschaftskritik, Beobachtung, Schule, Tiere, Liebe, Männer, Kinder, Berlin, Hauptstadt, Prenzlau, Kreuzberg
Herausgeber: FUEGO | www.fuego.de
veröffentlicht: 2016-02-21T00:00:00+00:00


Klassenfahrt

Kaum zu glauben, dass das zu Berlin gehören soll: Die Luft im Tegeler Forst riecht beunruhigend schadstofffrei nach feuchter Erde, Moos und Pilzen, das frische Grün schmerzt das an den Weddinger Hinterhof gewöhnte Auge, und dann diese Stille. Kein Mensch ist zu sehen – doch, einer, der seinen Hund ausführt. Ich nutze die Chance, um nach dem Weg zur Waldschule zu fragen, die irgendwo in dieser Oase des Friedens und der Ruhe liegen soll. »Die Waldschule?«, antwortet der Hundebesitzer, »einfach den kleinen Weg rein, und dann immer dem Lärm nach.«

Fünf Minuten später weiß ich, was er meint. Ich bin die aktuelle Vertretung des mitreisenden Vätervertreters bei der Erstklässler-Klassenfahrt der Weddinger Grundschule, weil der eigentliche Vätervertreter vorzeitig abreisen musste – angeblich wegen eines Magen-Darm-Infektes. Nach einer ersten kurzen Sichtung der Lage halte ich einen Hörsturz allerdings für die erheblich wahrscheinlichere Ursache des Ausfalls. Um ihn zu ersetzen, haben sich einige Väter die verbleibende Dauer der Klassenfahrt untereinander aufgeteilt. Ich habe heute Mittagsschicht. Die Kinder kreischen, krakeelen und krähen durch den Wald. Hier also soll ich als Aushilfserzieher für einen halben Tag wirken. Ein Specht fällt tot vom Baum. Herzinfarkt, vermutlich.

»Hey, du!«, ruft Mehmet mir zur Begrüßung enthusiastisch zu, »bist du jetzt unser Chef in diesem beschissenen Wald hier?« Neben ihm steht Anton, ein blondes, schüchternes Jüngelchen. Mit offenem Mund guckt er ein bisschen schockiert, aber auch bewundernd zu Mehmet rüber. Der ist eigentlich ein ganz netter Kerl, aber halt ein geradezu klassischer Migrationshintergründler mit allerlei älteren Brüdern und damit ein potenzieller Unruheherd erster Güte. Ich denke, es ist klug, mir gleich zu Beginn eine angemessene Autorität zu erarbeiten, also antworte ich streng: »Allerdings, mein Guter, und du gewöhnst dir mal bitte eine andere Wortwahl an, wenn du mit mir sprichst, OK?« – »Klar, Chef!«, antwortet der Junge zu meiner Verblüffung, »voll korrekte Ansage, Chef, ’tschuldigung«. Das klappt ja gut, denke ich zufrieden. Im nächsten Moment quietscht Anton begeistert auf: »Beschissen, beschissen, der ganze Wald ist beschissen.« Seine Parole laut rezipierend, rennt er von uns weg: »Alles beschissen hier«, hören wir ihn aus der Ferne, während er zwischen den Hütten verschwindet. »Ey, der hat voll das Problem mit Respekt!«, merkt Mehmet an.

Ich winke ab und erkundige mich erst mal nach Frau Bernstein, der Lehrerin. »Die ist im Mädchenhaus und holt Rosa aus dem Schrank«, informiert Mehmet mich. Aha. Ich frage lieber nicht genauer nach und gehe rüber zu der Hütte. Frau Bernstein sitzt auf einem Stuhl und redet mit beruhigender Stimme auf einen Schrank ein. Das darin befindliche Kind hat, so erfahre ich, eine Schneckenphobie. »Was?«, frage ich. »Eine Schneckenphobie«, wiederholt Frau Bernstein, »und beim Waldspaziergang mit der Umweltpädagogin heute morgen haben die Kinder Schnecken gefunden. Daraufhin ist Rosa in Panik geraten und hat sich im Schrank verrammelt.« »Aber wieso ist sie dann überhaupt mitgekommen?«, frage ich. Sie wäre wohl vorher nicht auf die Idee gekommen, dass Schnecken einfach so frei im Wald herumkriechen, sagt Frau Bernstein. Und jetzt, wo sie’s weiß, traut sie sich nicht mehr raus.

Ich bin mir nicht ganz



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