Im Schatten von Notre Dame by Joerg Kastner

Im Schatten von Notre Dame by Joerg Kastner

Autor:Joerg Kastner [Kastner, Joerg]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783426617359
Herausgeber: Scherz
veröffentlicht: 2013-03-20T17:00:00+00:00


»Man hat acht Zisterziensern den Zutritt zum Kerker gewährt, und acht weiße Mönche werden ihn auch wieder verlassen, die Gesichter von den Kutten verhüllt. Einer davon werdet Ihr sein.«

»Dann … muß einer … zurückbleiben!«

Villons Hand fuhr über eine Wand, und Feuchtigkeit glänzte auf seiner Haut. »Ein großes Wasserreservoir liegt über dem Kerker, und unterirdische Kanäle verbinden ihn mit der Seine. Unser Freund Leonardo ist ein geübter Schwimmer und Taucher. Keiner von uns wird hier zurückbleiben!«

Wie sehr Villon irrte, bewies in diesem Augenblick Hardoin, der aufstöhnte und am Eingang der Zelle zusammenbrach. In seinem Nak-ken steckte ein kurzer Pfeil mit hölzernem Gefieder, ein Armbrustbolzen. Hardoin wollte etwas sagen, doch statt Worten kam nur ein Blutschwall über seine zitternden Lippen.

Die schnellen Schritte vieler Männer hallten durch das Gewölbe. La-ternenschein schnitt durch die Finsternis und ließ die Umrisse der Anrückenden erkennen. Kettenhemden klirrten, Waffen klapperten, und jemand schrie den Befehl: »Nehmt die Ketzer gefangen! Niemand darf entkommen!«

Der vorderste Mann, der auf Hardoin geschossen hatte, trat ins Licht unserer Kerzen, ein Angehöriger der königlichen Bogenschützen, zu erkennen an der blauen Tunika über dem Kettenhemd, die mit einem geflügelten Hirschen geschmückt war. Durch seinen Erfolg vorwitzig und vielleicht auch blutdürstig geworden, eilte der Soldat seinen Kameraden mit erhobenem Schwert weit voran. Die abgeschossene Armbrust hielt er in der Linken.

Leonardo sprang aus der Kerkerzelle und stellte sich dem Angreifer entgegen. Durch ein blitzschnelles Wegducken entging er dem feindlichen Schwerthieb und parierte ihn schneller, als das Auge zu folgen vermochte. Die Klinge seines Stoßschwerts fraß sich in den Hals des Soldaten, direkt unterhalb des Kinns, wo die schützende Halsberge der Panzerung endete. Der Schütze konnte nicht einmal mehr einen Schrei ausstoßen, so rasch ereilte ihn der Tod. Doch seine Rächer nä-

herten sich unaufhaltsam.

»Wir müssen fort!« rief Leonardo uns zu. »Augenblicklich!«

»Nein, nicht ohne meinen Vater!« schrie Colette und umschlang die klapprige Gestalt Marc Cenaines, dessen Armfesseln dank Tommasos Kunst geöffnet waren. Aber was nutzte das, war er doch am Hals und an den Beinen noch gefesselt.

»So schnell schaff ich’s nicht«, keuchte der Mechaniker.

Villon beugte sich über Hardoin, legte eine Hand auf seinen Kopf und sagte leise: »Der Herr der Guten Seelen nehme sich Eurer an, Bruder!« Hardoin war tot.

»Ihr müßt gehen!« keuchte Cenaine, umarmte seine Tochter und stieß sie dann mit letzter Kraft von sich. »Geh, Colette, du mußt dein Leben retten!«

Ich sah Villon kurz nicken. Er hatte eingesehen, daß unser Unternehmen gescheitert war. Alle hatten es eingesehen, auch Cenaine, nur seine Tochter sträubte sich dagegen. Tränen in den Augen, wollte sie dem Vater erneut um den Hals fallen. Ich packte sie einfach und zerrte sie aus der Zelle, ohne auf ihr Schreien und Strampeln zu achten. Villon und die anderen folgten mir. Zurück blieben Cenaine und der tote Hardoin.

»Nach links!« rief Villon und zeigte auf einen finsteren Durchlass.

»Da geht’s zum Wasserspeicher.«

Leonardo hatte einen Bolzen aus dem Köcher des toten Schützen gezogen und die Armbrust gespannt. Er hob die Waffe, zog den Schaft tief in die linke Schulter ein und zielte auf die anstürmenden Feinde, die im Licht ihrer Laternen deutlich zu sehen waren.



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